Der König und der Hof

[35] So wenig wie die Könige von Babel und Assur waren die Perserkönige auf Erden wandelnde Götter nach Art der Pharaonen. Aber über alle Menschen sind sie hoch erhaben, auch der höchstgestellte Beamte oder Heerführer ist ihr Knecht (pers. bandaka, bab. gallû, aram. 'abd, griech. δοῦλος) und wird vom König als solcher angeredet. Vor dem König wirft sich jeder in den Staub; niemand darf unangemeldet bei ihm eintreten42. Wer mit ihm redet, hält die Hände in den Ärmeln; dem Diener, der hinter dem Thron steht und den Wedel über dem Haupt des Herrn der Welt hält, ist der Mund verbunden, damit sein Atem ihn nicht berühre. In der äußeren Erscheinung zeigt der König alle Pracht, welche die Phantasie ersinnen mag. Er allein trägt eine gesteifte Mütze (κίταρις, τιάρα), alle anderen Untertanen müssen sie oben eindrücken43. Seine Siegel, seine Münzen, die Skulpturen in Bisutun und Suez zeigen daneben eine gezackte Krone. Bei den Mahlzeiten speist er meist allein, seine »Tischgenossen« an einer Tafel im Vorgemach; nur bei Festen und Trinkgelagen dürfen sie am Tisch des Königs lagern. Vor dem Volk zeigt der Herrscher sich selten und nur zu Wagen, mit großem Gefolge und aller Pracht. Sein Geburtstag und der Tag seiner Thronbesteigung werden im ganzen Reich als Feste gefeiert. Dann gibt er ein großes Gastmahl, bei dem er niemand eine Bitte abschlagen darf44. Dafür soll der König allem Volk voranleuchten in den männlichen Tugenden [36] als Krieger und Jäger – das Siegel des Darius zeigt ihn auf der Löwenjagd; es galt als todeswürdiges Verbrechen, wenn einer der Jagdgenossen vor dem König den Speer warf, auch wenn das Leben des Herrschers gefährdet schien (Ktes. 29, 40) – wie als Pfleger des Ackerbaus und der Baumzucht, als Vorbild der Gerechtigkeit, der Wahrheitsliebe, besonders aber der Freigebigkeit, der verschwenderisch allen Untertanen und vor allem den Persern von den Glücksgütern spendet, die die ganze Welt ihm zuführt.

Wie alle vornehmen Perser (Herod. I 135) hat auch der König mehrere Frauen und dazu einen reichbesetzten Harem von Kebsweibern – so viele wie Tage im Jahr, behaupten die Griechen. Unter ihnen befinden sich zahlreiche Ausländerinnen. Kyros und Kambyses haben auch medische und ägyptische Prinzessinnen heimgeführt. Aber die Thronfolger stammen durchweg von Perserinnen aus vornehmem Hause, meist aus dem Königsgeschlecht selbst. Darius hat mehrere Töchter des Kyros geheiratet; eine von ihnen, Atossa, die früher mit Kambyses vermählt war, war die Mutter des Thronfolgers. Sehr gebräuchlich ist die Vermählung mit der eigenen Schwester; Artaxerxes II. hat daneben zwei seiner Töchter in seinen Harem genommen, was ebenso wie die Vermählung mit der eigenen Mutter (Ktesias fr. 30) von der zarathustrischen Religion sanktioniert war. Der Nachfolger wird durch den König selbst designiert; ob der erstgeborene oder der zuerst nach der Thronbesteigung geborene Sohn das nähere Anrecht habe, ist von Darius I. und II. verschieden entschieden worden. Das höchste Ansehen beim König genießt die Mutter, deren Einfluß bei den Achämeniden mehrfach ebenso verhängnisvoll gewesen ist wie bei den osmanischen Sultanen. Unter den Hofbedienten spielen die Eunuchen eine große Rolle; sie werden namentlich von Babylon geliefert (Herod. III 92, jährlich 500 Knaben), doch erscheinen auch nicht wenige Perser unter ihnen. Manche sind zu hohen Vertrauensstellungen am Hofe gelangt oder mit angesehenen Ämtern in den Provinzen bekleidet worden; nur die militärische Laufbahn ist ihnen verschlossen. In den späteren Zeiten der Günstlingswirtschaft haben sie oft einen entscheidenden [37] und verhängnisvollen Einfluß auf die Reichspolitik geübt45. Neben ihnen stehen die Scharen der niederen Bediensteten, die Stallknechte, Köche usw., dann die Mundschenken, Kämmerer, Pagen, die Leibwächter, die Magier. Auch unter ihnen sind die untertänigen Völker zahlreich vertreten, namentlich Juden. Seine Leibärzte bezog der König in älterer Zeit aus Ägypten46, dann vorwiegend aus Griechenland; der erste hellenische Arzt, der am Perserhof zu Ansehen gelangte, war Demokedes von Kroton, der Leibarzt des Polykrates (Bd. III2 S. 726, der bei dessen Tode in die Hände der Perser gefallen war47. Dazu kommen die zahlreichen auch ohne Amt am Hofe weilenden, von des Königs Tisch gespeisten Perser, die mit dem Titel von Tischgenossen und Verwandten48 geehrt werden. An der Spitze des Hofs stehen die großen Ämter des Oberkammerherrn (εἰσαγγελεύς), Obermundschenken, Oberstallmeisters49, des Wagenlenkers50, des Lanzen- und des Bogenträgers des Königs, die Darius in Bisutun und an seinem Grabe hat abbilden lassen und mit Namen nennt. Als oberster Hofbeamter erscheint der Chiliarch, der Kommandant der »Tausend« der Leibgarde (o. S. 31), der wenigstens in späterer Zeit die Stellung des Wesirs einnimmt51.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 35-38.
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