Schlacht bei Leuktra

[398] Nach dem Wortlaut des Friedens hätte Sparta das Bundesheer, das in Phokis stand, auflösen müssen; wenn dann Theben in seiner Widersetzlichkeit verharrte, mochte Sparta die Staaten, die dazu bereit waren, auffordern, an neuen Kriegsrüstungen gegen die widerspenstige Stadt teilzunehmen. König Kleombrotos, niemals mit dem Krieg gegen Theben einverstanden, war dieser Ansicht, und auch in der Volksversammlung in Sparta wurde sie ausgesprochen; aber die Majorität erklärte ein derartiges Verfahren mit Recht für töricht. Kleombrotos erhielt den Befehl, nochmals an Theben die Forderung zu stellen, die Städte freizugeben, und wenn es sich weigere, sofort in Böotien einzurücken. So geschah es. Der Hauptteil des böotischen Heeres besetzte bei Koronea die große Heerstraße längs des Kopaissees; aber Kleombrotos schlug den Bergpfad ein, der am Fuß des Helikon über Thisbe nach der Küste des Korinthischen Golfs führt. Der Paß war nur schwach besetzt; Kleombrotos überfiel den Hafen Kreusis, nahm die zwölf hier liegenden thebanischen Kriegsschiffe und rückte ins Gebiet von Thespiä ein. Die böotische Armee eilte herbei und zog auch die Truppen an sich, welche den Kithäron besetzt hielten; auf den Höhen zu beiden Seiten der etwa einen Kilometer breiten Talebene von Leuktra nahmen die Heere einander gegenüber Stellung. Bei den Böotern waren, als man sich jetzt unmittelbar vor die Entscheidung gestellt sah, von der Thebens Existenz abhing, die Meinungen geteilt, wie bei den Athenern vor Marathon; drei Böotarchen forderten den Rückzug und die Verteidigung innerhalb[398] der Stadtmauern688. Aber Epaminondas, jetzt zum ersten Male Böotarch, setzte es durch, daß man standhielt. Wer von den Mannschaften nicht bleiben wollte – und in den Kontingenten der untertänigen Städte wurde die Abneigung, für Theben zu kämpfen, vielfach laut –, erhielt die Erlaubnis davonzugehen, vor allem die Thespier; das übrige Heer stellte sich in Schlachtordnung auf. Auch Kleombrotos hatte wenig Neigung, für eine Politik, die er mißbilligte, den Entscheidungskampf zu wagen. Aber er wußte, wie man in Sparta über ihn dachte; kehrte er diesmal wieder unverrichteterdinge heim, so war ihm das Schicksal seines Vaters gewiß. So blieb auch ihm nichts übrig, als den Kampf anzunehmen689.

Die Seele des böotischen Heeres war Epaminondas, der Sohn des Polymnis. Er stammte aus einem angesehenen, wenn auch verarmten Geschlechte; geboren ist er spätestens um 415. Seine geistige Ausbildung verdankte er dem nach Theben verschlagenen Lysis von Tarent, einem der wenigen Pythagoreer, die bei der Katastrophe in Kroton (Bd. IV 1, 627) entkommen waren; auch sonst stand er in gymnastischer und musischer Ausbildung keinem anderen nach. Den politischen Händeln hatte er sich ferngehalten und auch an der Befreiung und ihren Bluttaten nicht teilgenommen; wie es sich bei einem Pythagoreer von selbst versteht, war er aristokratisch gesinnt und hat sich mit der jetzt in Theben herrschenden radikalen Demokratie nie vertragen können. Überhaupt aber war sein Interesse zunächst weit mehr den geistigen und philosophischen Fragen als der Politik zugewandt. Aber in den Kriegen Thebens hatte er sich ausgezeichnet und die Freundschaft des weit jüngeren Pelopidas gewonnen; durch ihn scheint er in die politische Laufbahn eingeführt zu sein. Im J. 371 war er zum ersten Male Böotarch; und jetzt zeigte sich sofort, daß er als Staatsmann [399] wie als Feldherr alle Genossen weitaus überragte, zuerst bei den Verhandlungen in Sparta, deren Führung ihm zufiel, sodann auf dem Schlachtfelde von Leuktra690. Epaminondas hat aus der Eigenart der böotischen Kampfweise eine neue Taktik entwickelt, welche, weit hinausgehend über die Reformen des Iphikrates und des Chabrias, der griechischen Kriegsführung eine neue Gestalt gab und der alten Kampfweise, welche in Sparta verkörpert war und auf der Spartas Herrschaft beruhte, definitiv ein Ende machte. Die bisherigen Schlachten waren Flügelschlachten gewesen: in jeder der beiden Armeen suchte der rechte Flügel, nach rechts vorwärts drängend, den feindlichen linken zu umklammern und zu werfen und dann die feindliche Schlachtreihe aufzurollen. Daneben hatte sich, zunächst in den Kämpfen mit rohen Volksstämmen, wie den Ätolern und Thrakern, die aufgelöste Fechtart der Leichtbewaffneten entwickelt und dann durch die Ausbildung des Söldnerwesens und der Peltasten in kleineren Gefechten oft entscheidende Bedeutung gewonnen. Die Folge war gewesen, daß man seit dem Korinthischen Krieg Entscheidungsschlachten nach Möglichkeit vermied und durch geschickte Manöver Teilerfolge zu erringen und dadurch den Krieg bis zur Ermattung des Gegners hinzuhalten suchte; darin hatten sich Iphikrates und Chabrias als Meister gezeigt. Die Reiterei, welche die Thessaler und Böoter niemals aufgegeben und die Athener seit den Perserkriegen, Sparta seit Brasidas wieder eingeführt hatten, war immer eine Hilfstruppe geblieben, die zur Flankendeckung, zur Einleitung des Gefechts, zur Verfolgung und Aufklärung und zu raschen Überfällen verwertet wurde. Die Böoter hatten immer eine gute Reiterei gehabt und dieselbe in den letzten Kriegen weiter ausgebildet; die Entscheidung aber hatten sie durch tiefe Aufstellung des rechten Angriffsflügels zu gewinnen gesucht, so bei Delion. Daran hielt [400] Epaminondas fest; aber zum Angriffsflügel bestimmte er jetzt den linken Flügel und stellte ihn so tief auf, daß er einen entscheidenden Stoß gerade gegen den feindlichen Offensivflügel führen konnte. Die Reiterei sollte den Kampf eröffnen und das Schlachtfeld freimachen, der rechte Flügel, von dem die Feinde den Angriff erwarteten, zurückbleiben und den Kampf hinhalten; gelang es währenddessen, den feindlichen rechten Flügel zu werfen, so war der volle Sieg erfochten. Der Kern der Neuerung war, daß Epaminondas die gewöhnliche Schlachtordnung umkehrte und die Entscheidung an derselben Stelle suchte wie der Gegner; weil aber im Kampfe der linke Flügel sich weit vorschob, während der rechte zurückblieb, hat diese Aufstellung den Namen der »schiefen Schlachtordnung« erhalten.

Die Stärke des spartanischen Heeres wird auf 10000, die des böotischen auf 6000 Mann angegeben. Doch ist auf diese Zahlen kein Verlaß; beide Heere mögen leicht ungefähr gleich stark gewesen sein. Während die Peltasten und Reiter der Verbündeten die Böoter umschwärmten und den abziehenden Troß ins Lager zurücktrieben, stellte Kleombrotos sein Heer am Südrande der Ebene in Schlachtordnung, auf dem rechten Flügel die 4 spartanischen Moren, 2300 Mann, darunter 700 Spartiaten691, in einer Tiefe von 12 Mann (also 192 Mann692 in der Front), dann links anschließend die Kontingente der Bündner, meistens Soldtruppen; die Reiterei stand vor der Front, die Aufstellung zu decken. Epaminondas dagegen bildete auf seinem linken Flügel eine 50 Schilde tiefe Kolonne, an der Spitze die heilige Schar (o. S. 381) unter Pelopidas; der rechte Flügel war um so flacher aufgestellt. Trotzdem kann die Front der Böoter nicht einmal ein Drittel693 so lang gewesen sein als die der Feinde. Die böotische Reiterei eröffnete den Kampf und warf die spartanische auf das Fußvolk zurück. Trotzdem versuchte Kleombrotos in gewohnter Weise zum Angriff [401] vorzugehen und den schmalen linken Flügel der Feinde zu umklammern: da traf ihn der Stoß des thebanischen Gewalthaufens, der mit unwiderstehlicher Wucht wie ein Keil in seine Reihen eindrang694. Die spartanische Offensive war gebrochen, ehe sie sich hatte entfalten können. Die Spartaner fochten aufs tapferste. Kleombrotos selbst fiel und um ihn die Elite der spartanischen Bürgerschaft, Sphodrias und sein Sohn Kleonymos, der Polemarch Deinon und zahlreiche andere, im ganzen gegen 1000 Mann, darunter 400 Spartiaten, über die Hälfte derer, die am Kampfe teilnahmen. Wenigstens den sterbenden König gelang es vom Schlachtfelde aufzuheben; aber die Schlacht war nicht mehr zu retten, nur noch die Ehre. Der linke Flügel war, als der erwartete Angriff der Feinde nicht erfolgte, seinerseits vorgegangen; jetzt wurde auch er von der Niederlage mit fortgerissen. Das geschlagene Heer zog sich in das durch einen Graben geschützte Lager auf den Höhen zurück. Einzelne Spartiaten, die den Gedanken einer Niederlage nicht ertragen konnten, forderten eine Wiederaufnahme des Kampfes. Aber das war unausführbar, zumal auch die Bundesgenossen jetzt nicht mehr zuverlässig waren; man mußte sich bequemen, durch die Bitte um Überlassung der Leichen die Niederlage einzugestehen. Einen Sturm auf das Lager wagten die Böoter nicht; aber auf der Höhe, wo ihr Lager gestanden hatte, errichteten sie ein steinernes Tropäon, dessen Trümmer noch heutigen Tages die Stätte bezeichnen, an der Spartas Macht ins Grab gesunken ist695.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 51965, Bd. 5, S. 398-402.
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