Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

[642] Im Juli 1940 wurde von Schirach zum Gauleiter von Wien ernannt. Gleichzeitig wurde er Reichsstatthalter von Wien und [642] Reichsverteidigungskommissar, ursprünglich für den Wehrkreis 17, der die Gaue Wien, Oberdonau und Niederdonau umfaßte und nach dem 17. November 1942 nur für den Gau Wien. Als Reichsverteidigungskommissar hatte er die Kontrolle über die zivile Kriegswirtschaft. Als Reichsstatthalter war er Chef der Stadtverwaltung der Stadt Wien, und unter der Oberaufsicht des Innenministers wurde ihm die Verwaltung der Belange der Reichsregierung in Wien übertragen.

Von Schirach ist nicht der Begehung von Kriegsverbrechen in Wien beschuldigt, sondern nur der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wie bereits erwähnt, wurde Österreich in Verfolgung eines gemeinsamen Angriffsplanes besetzt. Seine Besetzung ist daher ein »Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist«, gemäß Artikel 6 c des Statuts. Demnach stellen »Ermordung, Ausrottung, Versklavung, Verschleppung und andere unmenschliche Handlungen«, sowie »Verfolgungen aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen« in Verbindung mit dieser Besetzung ein unter diesen Artikel fallen des Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.

Als Gauleiter von Wien fiel von Schirach unter den vom 6. April 1942 datierten Sauckel-Erlaß, durch den die Gauleiter zu Sauckels Bevollmächtigten für den Arbeitseinsatz wurden mit der Befugnis, den Einsatz und die Behandlung der Arbeitskräfte innerhalb ihrer Gaue zu überwachen. Sauckels Anweisungen gingen dahin, die Zwangsarbeiter so zu ernähren, unterzubringen und zu behandeln, daß sie bei kleinstmöglichen Ausgaben bis zur höchstmöglichen Leistung ausgebeutet würden.

Als von Schirach Gauleiter von Wien wurde, hatten die Judendeportationen bereits begonnen und von den ursprünglich 190000 Juden Wiens waren nur noch 60000 übrig. Am 2. Oktober 1940 wohnte er einer Besprechung in Hitlers Büro bei und teilte Frank mit, daß er 50000 Juden in Wien habe, die das Generalgouvernement von ihm übernehmen müsse. Am 3. Dezember 1940 erhielt von Schirach ein Schreiben von Lammers, demzufolge Hitler auf Grund des von Schirach gemachten Berichtes befohlen hatte, die noch in Wien verbliebenen 60000 Juden wegen der in Wien herrschenden Wohnungsknappheit ins Generalgouvernement zu deportieren. Darauf setzte die Deportation der Juden aus Wien ein, die bis zum Frühherbst 1942 fortgesetzt wurde. Am 15. September 1942 hielt von Schirach eine Rede, in der er seine Handlungsweise mit der Begründung verteidigte, er habe »Zehntausende und aber Zehntausende von Juden in das Ghetto des Ostens« getrieben als »Beitrag zur europäischen Kultur« (3048-PS, US-274).

Während die Juden aus Wien deponiert wurden, liefen bei von Schirach im Amt Berichte ein, die an ihn in seiner amtlichen Eigenschaft gerichtet waren und die aus dem Büro des Chefs der [643] Sicherheitspolizei und des SD stammten. Diese Berichte enthielten eine Beschreibung der Tätigkeit der Einsatzgruppen bei der Judenvernichtung. Viele dieser Berichte waren von einem Hauptstellvertreter von Schirachs paraphiert. Am 30. Juni 1944 erhielt von Schirachs Dienststelle auch ein Schreiben Kaltenbrunners, in dem er ihm mitteilte, daß ein Transport von 12000 Juden für wichtige Kriegsarbeiten auf dem Wege nach Wien sei und daß alle Arbeitsunfähigen für die »Sonderaktion« in Bereitschaft zu halten seien.

Der Gerichtshof ist zur Überzeugung gelangt, daß von Schirach zwar nicht Urheber der Politik der Deportation der Juden aus Wien gewesen ist, jedoch, nachdem er Gauleiter von Wien geworden war, an dieser Deportation teilgenommen hat. Er wußte, daß das Günstigste, was die Juden erhoffen konnten, ein elendes Dasein in den Ghettos des Ostens sein würde. Mitteilungen über die Ausrottung der Juden lagen in seinem Dienstraum.

Während er Gauleiter von Wien war, fuhr von Schirach fort, als Reichsleiter für Jugenderziehung tätig zu sein. In dieser Eigenschaft wurde er von der Teilnahme der Hitler-Jugend an dem Plan in Kenntnis gesetzt, demzufolge im Herbst 1944 50000 junge Leute zwischen 10 und 20 Jahren aus von den Sowjetstreitkräften zurückeroberten Gebieten nach Deutschland evakuiert wurden und als Lehrlinge in der deutschen Industrie und als Hilfskräfte in Einheiten der deutschen Streitkräfte Verwendung fanden.

Im Sommer 1942 telegraphierte von Schirach an Bormann mit der Empfehlung, einen Bombenangriff auf ein englisches Kulturzentrum36 durchzuführen als Vergeltungsmaßnahmen für den Mord an Heydrich, der, wie er behauptete, von den Engländern geplant worden war.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 22, S. 642-644.
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