Gast, Gastfreundschaft

[252] Gast, Gastfreundschaft. Das Wort Gast ist got. der gasts, ahd. gast, mhd. gast, verwandt mit lat. hostis. Die älteste erkennbare Bedeutung ist die des Fremden, Gäste sind Elende in der alten Bedeutung des Wortes. Ausländer in der Stadt, in der Gemeinde, im Lande hiessen in der Sprache des Rechtslebens bis ins 17. Jahrh. Gäste: Burger oder Gast, Gastgericht ist ein für einen fremden Mann aufgestelltes Gericht. In gesteigertem Ausdruck heisst der Fremde ein wilder Gast, der nirgends heimisch ist, ein elender oder fremder Gast. Im besonderen heissen fremde Kaufleute Gäste, aber auch landfahrende Krieger, Abenteurer, Helden, ähnlich wie Recke ursprünglich den Verbannten, also ebenfalls den in der Fremde sich aufhaltenden Mann bezeichnete; die letztere Bedeutung des Helden findet man in Eigennamen: Liudegast, Hiltigast, Hadugast, und noch mhd. war gast als Held ein geläufiger Ausdruck Schon enger wird die Bedeutung des Wortes, wenn Gast den Kunden, den Fremden im Geschäftsverkehr bedeutet, welches der Fall ist in Kaufgast = Geschäftskunde, Marktgast, Mühlgast, Fahrgast, Badegast. Die neuere Entwickelung des Wortes[252] Gast geht an dem Gegensatze von Gast und Wirt vor sich, wobei das lettzere Wort ursprünglich den Mann mit eigenem Hause, Haus und Hofe oder auch Lande (des Landes Wirt = Fürst), Gast also das gerade Gegenteil bezeichnete. Wurde nun ein Gast, d.i. Fremder, von einem Wirte, Hausherrn, als sein Gast aufgenommen, in sein Haus und in seinen Schutz, seine Pflege und Gastfreundschaft, so ergab sich die eine, weitere, der beiden jetzt gangbaren Bedeutungen; die andere am dann zum Vorschein, wenn der Wirt Gastwirt (gastgeber) und der Gast Wirtsgast wurde. Auch im letztgenannten Verhältnisse waren ursprünglich nur Fremde gemeint, die beim Wirt Aufnahme suchten und fanden, und erst spät mochten sich einheimische nächtliche Zecher Gäste nennen, um beim Weine sitzen bleiben zu können. Nach Grimm, Wörterb.

Die Gastfreundschaft der Germanen, d.h. also die Freundschaft gegenüber dem Fremdling (das Wort Gastfreund ist Jüngern Datums und erst seit Voss in Gang gekommen) war weit berühmt. Cäsar erzählt, wie den Fremden alle Häuser offen ständen und ihnen geboten würde, was an Speise und Trank vorhanden sei. Tacitus Germ. 21 erklärt, kein anderes Volk könne sich in der Tugend der Gastfreundschaft mit den Germanen messen; kein Fremder, wer er auch sei, werde von einem Dache abgewiesen, es werde dem Gaste vorgesetzt, was das Haus biete, und sei alles aufgezehrt, so gehe der Wirt mit dem Gaste zu dem nächsten Hofe. Beim Abschiede würden erbetene Geschenke gern gewährt. Karl der Grosse schärfte in seinen Kapitularien die Übung der Gastfreundschaft wiederholt ein. Dagegen verlangte man vom Gaste, dass er nicht zu lange bleibe: in Skandinavien waren drei Nächte oder Tage die längste Frist; blieb der Gast länger, so trat er in ein näheres Verhältnis zu seinem Wirte. In vielen isländischen Häusern, die an der Landstrasse lagen, stand stets ein Tisch für Gäste bereit, und die Hausfrau sass vor der Thür, um jeden Wanderer einzuladen, unter ihr Dach zu treten. Der Wirt ging dem Gaste entgegen, bewillkommnete ihn und bat ihn einzutreten; die Wirtin aber begrüsste den Gast mit einem Kuss.

Ähnlich blieb es durchs ganze Mittelalter, während welcher Zeit es an Pilgern, fahrenden Leuten jeden Standes, fahrenden Spielleuten und Sängern nicht fehlte. In der Benediktiner-Regel handelt Kap. 52 von der zu übenden Gastfreundschaft, die in den Klöstern in reichstem Masse geübt wurde. Am Hofe hatte sich edlen Gästen gegenüber ein eigenes Zeremoniell ausgebildet, das sich an die ältere Sitte anschloss. Frau oder Tochter des Hauses nahmen dem ritterlichen Gaste seine Rüstung ab, reichten ihm frische Kleider und, nachdem er einen Trunk genossen, ein Bad. Dann legte sich der Gast entweder für kurze Zeit zu Bett, oder er begab sich, mit den Kleidern des Wirtes angetan, zur Mahlzeit, wo er den Ehrenplatz dem Wirte gegenüber, das gegensidele, einnahm. Wirtin oder Tochter kredenzten den Becher und schnitten die Speisen vor. Zur Nachtruhe in die Kammer begleitete den Gast wiederum die Hausfrau, um nachzusehen, ob nichts fehle, und nach einer Weile kam sie wieder, um nachzufragen, ob er gut gebettet sei, zugleich brachte sie ihm den Nachttrunk. Am Morgen fand der Gast vor seinem Bette frische Wäsche, die Hausfrau erkundigte sich, wie er geschlafen habe, vor der Abreise legten Wirt und Wirtin dem Gaste die Waffen an und entliessen ihn, nachdem sie ihm Imbiss und Trunk gereicht[253] hatten. Nach alter Sitte überreichte der Wirt dem Gaste ein Gastgeschenk, das dieser auch fordern mochte.

Auch für Fremdlinge niedern Standes sorgte das alte Recht und die alte Sitte. Wenn der Fremdling abends keine Wohnung mehr erreichte, so war ihm gestattet, ungestraft Speise für sich und Futter für sein ermattetes Pferd aus der Mark zu nehmen. Der Reisende darf sich drei Äpfel vom Baume brechen, drei oder vier Trauben in die Hand schneiden, den Handschuh voll Nüsse pflücken, soviel Heu, als ein Pferd zum Futter braucht, nehmen, auch Holz hauen, um sein Geschirr oder Gefährt damit auszubessern und Speise zu kochen. Doch durfte er kein Futter mitnehmen und musste sich auf gebahntem Wege halten oder im Walde ein Hörn blasen, wenn er nicht als Dieb gelten wollte. Weinhold, Deutsche Frauen, 2. Aufl. II., 393 ff. Grimm, Rechtsalt. 399 ff.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 252-254.
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