Göttertempel u. Götterbilder

[330] Göttertempel u. Götterbilder.[330] Tacitus sagt in der Germania, Kap. 9: »Die Götter in Mauern einzuschliessen und ihnen ein Menschenantlitz zu geben, halten die Germanen für unvereinbar mit der Erhabenheit der Himmlischen; sie weihen ihnen Haine und Waldtriften, und benennen mit dem Namen der Gottheit jenes geheimnisvolle Etwas, das sich nur der ehrfurchtsvollen Andacht offenbart.« Im Widerspruche mit dieser Stelle scheint es zu stehen, wenn derselbe Geschichtschreiber in Kap. 40 bei der Beschreibung des heiligen Haines und des feierlichen Umzuges der Nerthus erzählt: der Priester merke es, wenn die Göttin in ihrem Heiligtume gegenwärtig sei, und gebe dieselbe, statt des Umgangs mit den Sterblichen, dem Tempel zurück; darnach werde der Wagen, auf dem die Göttin, vom Priester geleitet, ihren Umzug hielt, die Tücher, mit denen er überdeckt war, und – wer es glauben will – die Gottheit selber in einem geheimen See abgewaschen. Setzt schon hier der Umzug auf dem Wagen und das Baden der Gottheit unzweifelhaft ein Bild voraus, so spricht eine andere Stelle des Tacitus, Annalen I, 15, noch deutlicher; hier wird bei Gelegenheit einer Nachricht über den Zug des Germanicus gegen die Marsen im Jahre 14 n. Chr. berichtet, es seien die geweihten sowohl als die ungeweihten Gebäude und namentlich der jenen Stämmen überaus berühmte Tempel, den sie den Tempel der Tanfana nannten, dem Erdboden gleichgemacht worden. Offenbar waren Göttertempel und Götterbilder der Germanen zu Tacitus' Zeit noch höchst selten und blieben es auch bis in das 4. und 5. Jahrhundert, da bis dahin alle übrigen Schriftsteller davon schweigen. Erst allmählich entstand der Gedanke, auch den Göttern bleibende Wohnstätten zu errichten. Seit dem 5. Jahrhundert mehren sich die Zeugnisse über deutsche Göttertempel, in königlichen und päpstlichen Edikten, in Weltchroniken und namentlich in den Lebensbeschreibungen der Heidenapostel, und zwar bei den Franken, Alamanen, Westgoten, Langobarden, Angelsachsen und Friesen. Die deutschen Benennungen des Tempels sind: got. alhs, ahd. alah; ahd. wîh, ags. vîh, veoh = Waldtempel; ahd. haruc, ags. hearg, ebenfalls Waldtempel. Das entsprechende altn. Wort hörgr bedeutet ursprünglich den Steinaltar im Walde; – ahd. paro, ags. bearo, ebenfalls Waldtempel; altn. barr ist Baum und barri ist Hain; ahd., ags., alts. hof heisst bloss der gebaute Tempel; ahd. halla, ags. heal, Halle; – ags. reced, altsächs. rakud; – ahd. pluostarhûs, Opferhaus; – ahd. petapur, auch petahûs, ahd. betehûs; auch ahd. chirihhâ kommt als Bezeichnung heidnischer Tempel Tempel vor, und altn. gohahûs, Götterhaus.

Da die Tempel aus Holz errichtet waren, sind sie gänzlich verschwunden; entweder wurden sie dem Boden gleichgemacht, um auf demselben die christliche Kirche zu erbauen, oder ihre Hallen wurden zum christlichen Gottesdienste verwendet. Denn da diese Kultusstätten seit grauester Vorzeit her für teure Heiligtümer der Stämme oder ihrer Geschlechter betrachtet und verehrt wurden, schien es durchaus nötig, ihre Heiligkeit und Unverletzlichkeit auf den christlichen Nachfolger des Gottes, in den meisten Fällen einen christlichen Heiligen zu übertragen.

Die Tempel erhoben sich nicht nur auf den Höhen der Berge, sondern auch in Hainen und auf Wiesen und Auen und standen namentlich in enger Verbindung mit den Malstätten. Ohne Zweifel bestanden neben den Tempeln die eingefriedigten freien heiligen Räume in grosser Zahl fort.

Die Zeugnisse für die Götterbilder beginnen mit Sicherheit im[331] 4. Jahrh., sie finden sich meist in den Lebensbeschreibungen der Heidenapostel, u.a. in derjenigen des heil. Gallus, welcher bei Tuggen am Zürchersee sowohl als in Bregenz heidnische Götterbilder antraf. Die deutschen Ausdrücke für Götterbilder heissen got. manleika, ahd. manalîhho, altn. lîkneski = das nach menschlicher Gestalt geformte Bild und ahd. avarâ. Einzelne derartige Bilder aus Eisen, Stein, Leder, Erz, Holz sind erhalten, sie stellen Wodan mit seinem Rosse und seinen beiden Hunden oder Wölfen, Fro, Fria u.a. dar.

Ungleich besser als über die südgermanischen Göttertempel und Götterbilder sind wir über diejenigen der Skandinavier unterrichtet. Hier bestand das Tempelgebäude aus zwei verschiedenen Abteilungen, aus einem Langhause und einem runden, auch wohl gewölbten Nebenhause, das dem Chore an den christlichen Kirchen ähnlich war. Das letztere bildete das eigentliche Heiligtum; in ihm standen in einem Halbkreise auf Gestellen die Götterbilder; vor demselben, also in der Mitte des Halbkreises, erhob sich der kunstreich gefertigte und mit Eisen getäfelte Altar, auf demselben brannte das geweihte Feuer, das nie erlöschen durfte, daneben stand der kupferne Blutkessel, in welchem man das Blut der geschlachteten Opfertiere oder Menschen sammelte, und in dem der Blutzweig lag, mit welchem man die Gestelle der Götterbilder und den Altar, die Wände des Tempels aussen und innen, sowie die Leute und das Gut besprengte; ferner befand sich daselbst der heilige Ring, auf dem alle Eide abgelegt wurden und den der Häuptling bei allen Volksversammlungen tragen sollte. In dem Langhause, welches oft von sehr beträchtlicher Länge war, stand in der Mitte jeder Langwand ein Hochsitz, dessen zwei spitzzulaufende Säulen über das Dach emporragten und gewöhnlich mit einem Thorkopfe geziert waren; in diese Säulen waren Götternägel eingeschlagen, deren Bedeutung unbekannt ist. Auf den Hochsitzen nahmen der Tempelhäuptling und, wie in dem Privathause, je die vornehmsten, beim Opfermahle anwesenden Männer Platz. Zu beiden Seiten der Hochsitze, also den Seitenwänden entlang, waren gewöhnliche Bänke angebracht. Zwischen den beiden Sitzreihen brannten auf dem Boden während des Opferfestes Feuer, über denen die Kessel hingen, in welchen das Opferfleisch gesotten wurde; über diese Feuer pflegte man sich gegenseitig den Vollbecher zu bringen, der, wie alle Opferspeise, von dem Häuptlinge geweiht war. Der ganze Tempel war durch Glasfenster erhellt, mit Tapeten behängt, zuweilen auch mit Schnitzwerk, Gold und Silber und sonstigem Schmucke geziert. In den Seitenwänden, quer dem Nebenhause gegenüber, befanden sich die Thüren, die verschliessbar waren und an denen zuweilen ein metallener Ring hing, dessen Bestimmung unbekannt ist. Vor der Thür befand sich der Opferstein und der Opfersumpf; in welch letzteren die zum Opfertode verurteilten Menschen, nachdem ihnen am Opfersteine der Rücken zerbrochen war, versenkt wurden. Heilige Bäume, an denen gewisse Teile der geopferten Tiere, auch wohl die geopferten Menschen aufgehängt wurden, umgaben den Tempel. Die ganze heilige Stätte schloss eine Einfassung von Holzpfählen ein, die ihrerseits ebenfalls verschlossen werden konnte und innerhalb deren die heiligen Tiere weideten. Die Tempel erhoben sich in der Regel in der Nähe der Dingstätten, zuweilen auch in heiligen Hainen.

Auch die nordischen Tempel waren ohne Zweifel aus Holz aufgeführt. Nach den Sagen finden sich in ihnen meist mehrere Götterbilder[332] zusammen aufgestellt, deren eines, Thor oder Freyr oder Balder oder Odhin, die Hauptstelle einnahm. Meist waren die Bilder aus Holz geschnitzt. Sie stellten die Gottheit in Lebensgrösse oder darüber vor, geschmückt mit wirklichen Gewändern, Gold, Silber, Kleinodien und ihren Attributen, die nackten Teile bemalt. Ausser den Tempelgötterbildern gab es auch Hausgötzen, die meist sehr klein gewesen zu sein scheinen; man trug sie auch im Beutel. Auch Götterbilder aus Teig und Ton werden erwähnt; Thors Bild findet sich an der Hochsitzsäule und an dem Vordersteven eines Heerschiffes aus Holz geschnitzt.

Die Wohnungen der Götter, sowie sie selbst und ihre Besitztümer und Feste standen unter einer hohen Heiligkeit und einem tiefen Frieden, deren Verletzung und Störung dem Heidentum für das schwerste Verbrechen galt, welches, wie man glaubte, die Götter selbst ahndeten. Tac. Germania. 39. Die Heiligkeit der Götterwohnungen ging später auf die christlichen Kirchen und Klöster über.

Bei seiner Gründung wurde der gemeinsame öffentliche Tempel mit einem gewissen Grundeigentum dotiert, auf welches sich die Heiligkeit des Tempels miterstreckte. Auf Hörige, welche Tempeln angehörten, deuten die Eigennamen Alahdeo = Diener des Tempels, Cotadeo, Gotadeo, Cotascalh, Gotascalc, Gotman, Wîhman, Wîhdiu. Nach A. Rassmann in Ersch. und Gruber, Art. Göttertempel und Götterbilder (vgl. Grimms Mythologie).

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 330-333.
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