Tortur

[984] Tortur. Dieselbe stammt aus dem römischen Rechte, wo sie anfangs nur gegen Sklaven, wenn sich der Herr für seine Unschuld auf ihr Zeugnis berief, später auch gegen Freie und zwar zuerst beim Majestätsverbrechen, allmählich aber auch bei andern schweren Vergehen angewendet wurde. In den alten deutschen Volksrechten kommt die Tortur bloss gegen Sklaven vor, verschwindet dann aber wieder; und das eigentliche Mittelalter kennt als[984] Mittel des Beweisverfahrens bloss den Reinigungseid, die Eideshelfer und das Gottesurteil. Erst im 15. Jahrhundert trat in Deutschland eine wesentliche Änderung im Verfahren und Beweissystem ein. Die Gerichte fingen an, zum Teil auf kaiserliche Privilegien gestützt und nach dem Vorgange der geistlichen Gerichte, Alles vom Geständnisse der Angeschuldigten abhängig zu machen, welches man nun auf alle Weise herbeizuführen sucht. Als Mittel hierzu wurde, wieder nach dem Vorgange der geistlichen Gerichte und der italienischen Praxis und Doktrin, zur Folter gegriffen, welche nun nach und nach durch Landesgesetze und im 16. Jahrhundert durch die Reichsgesetzgebung bestätigt wurde; auch das Wort Folter stammt aus Italien, wo im mittellateinischen póledrus, póletrus, von griech. pôlos = Füllen, ein Marterwerkzeug bezeichnet, das ein Gestell mit vier Füssen nach der Art eines Pferdchens darstellt. Erfordernisse zur Anwendung der Folter waren: dass weder durch Geständnis noch durch Beweis die Wahrheit bereits entdeckt worden sei oder in der Folge entdeckt werden könne; dass die Beschuldigung in einem schweren Verbrechen bestehe; dass das Corpus delicti von demjenigen Verbrechen, über welches die Folter erkannt werden sollte, berichtiget sei; dass wider den zu Folternden wichtige Anzeigen vorhanden seien, die einen starken Verdacht gründeten und dass der Verbrecher die Folter auszuhalten fähig und nicht gegen dieselbe privilegiert sei; privilegiert waren aber hohe Adels- und Gerichtspersonen, fürstliche Räte und Soldaten. Die Folter wurde auf verschiedene Grade erkannt, die aber nicht überall gleich waren; meist nahm man ihrer drei an. Der Der erste oder geringste Grad war das Schnüren, wobei dem Angeklagten die Hände an den Gelenken bis auf die Knochen mit Seilen stark zusammengeschnürt und auf den Rücken gebunden wurden; an andern Orten bestand der erste Grad in den Daumenschrauben oder Daumenstöcken, wobei dem Inquisiten die Daumen beider Hände zusammengepresst wurden; noch an andern Orten gehörten die Spanischen Stiefeln oder Beinschrauben zum ersten Grade, wodurch die Waden und Schienbeine des Inquisiten gequetscht wurden. Der zweite Grad bestand, nach dem sächsischen Rechte, darin, dass der Angeklagte auf die Leiter gezogen, ihm die Spanischen Stiefel angelegt, hierauf seine Glieder auf der Leiter ausgedehnt und auseinandergezogen wurden, welcher Grad nun noch dadurch vermehrt ward, dass man das Seil einige Male anzog, oder dem unten losgebundenen Inquisiten einige Gewichte von Stein oder Eisen an die Füsse gehängt wurden, und dann an das Seil geschlagen oder ihm an die spanischen Stiefel geklopft wurde; oder man bewarf den Angeklagten mit Schwefelfaden. An andern Orten bestand der zweite Grad allein darin, dass der Angeklagte mit auf den Rücken gebundenen Händen aufgezogen und eine Zeitlang hängen gelassen wurde. Wenn endlich der dritte Grad der Folter erkannt wurde, so ward, nach sächsischem Rechte, der auf der Leiter aufgespannte Leib des Angeklagten noch weiter gepeinigt, indem man Federkiele in zerlassenen Schwefel eintauchte und angezündet dem auf der Leiter liegenden Inquisiten auf den Leib warf, oder davon gemachte Pflaster anzündete und auf den Leib klebte, oder einen Knaul von einem eine halbe Elle langem Holze, mit Hanf umwunden, in zerlassenes Pech eintauchte, mit Hanf wieder umwickelte, wiederum eintauchte, bis der Knaul die Grösse einer Faust erhielt, den man hernach anzündete und dem Inquisiten auf den blossen Leib warf, jedoch[985] auf keine edlen Teile; oder wenn man ihm spitz gemachte Kienhölzer unter die Nägel schlug und anzündete. An einigen Orten bestand der dritte Grad allein darin, dass mit dem Aufziehen des Inquisiten das Schlagen an die Seile oder das Anhängen von Gewichten verbunden ward. In manchen deutschen Landen waren neben den oben angeführten drei Graden auch noch andere Arten und Werkzeuge zur Folter eingeführt, als das Bambergische Instrument, der spanische Bock oder das Meklenburgische Instrument, die Spanische Kappe, der Dänische Mantel, die Englische Jungfrau, der gespickte Hase, die Feuertortur, der Schwitzkasten, das Fiedeln mit dem Riemen u.s.w. Zahlreich waren die Vorschriften über Dauer, Art, Exekution, Wiederholung der Folter, und ihre hässlichste und schrecklichste Anwendung fand sie in den Hexenprozessen, siehe den besondern Art. Nachdem schon im 16. Jahrhundert einige Stimmen sich gegen die Folter erhoben hatten, fiel sie endlich im 18. der Aufklärung zum verdienten Opfer; namentlich Thomasius, Beccaria, Voltaire, Sonnenfels und Justus Möser hatten sich gegen sie ausgesprochen. Friedrich d. Gr. schaffte sie zuerst ab, 1740 und 1754; dann folgte Dänemark 1770, Österreich 1784 und 87, Frankreich 1789.

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Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 984-986.
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