Willehalm

[1084] Willehalm heisst das letzte der drei höfischen Epen Wolframs von Eschenbach. Es gehört dem Karolingischen Sagenkreise an und geht wie die übrigen Epen Wolframs auf ein französisches Buch zurück, das der Dichter durch seinen Gönner, den Landgrafen Hermann von Thüringen, erhalten hatte. Willehalm, Graf von Orange in Südfrankreich (es ist eigentlich der heil. Wilhelm, Graf Wilhelm von Aquitanien, der 793 gegen die Sarazenen focht, und obgleich besiegt, das Vordringen der Feinde hemmte), der Vasall Ludwig des Frommen, war in die Gefangenschaft des Heidenkönigs Terramer (d.i. li rois d'outre mer, der König von Jenseits des Meeres) geraten, war aber von der zu ihm in Liebe entbrannten und von ihm in der Gefangenschaft zum Christentum bekehrten Tochter des Königs Arabel, der Gemahlin des Königs Tybalt, befreit worden und mit ihr zurückgekehrt. Zur Rache für diese That fallen nun der Vater und der Gemahl Arabels oder, wie diese seit der Taufe heisst, Gyburcs, in Willehalms Land ein; mit der Beschreibung der ersten Schlacht auf dem Felde von Alischanz beginnt das Gedicht; Willehalm wird geschlagen und entschliesst sich deshalb, sich an den Hof nach Orleans zu begeben, um bei Loys (Ludwig der Fromme), der seine Schwester zur Ehe hat, Hilfe zu suchen. Mit dem Hilfsheer, in dem sich namentlich auch der furchtbar starke Knappe Rennewart befindet, trifft er vor dem von den Heiden belagerten Orange ein. Die Entscheidungsschlacht wird hauptsächlich durch Rennewarts Tapferkeit, der sich übrigens als der einzige, als kleines Kind schon entführte Bruder der Gyburc herausstellt, zu gunsten der Christen gewendet; doch wird nach der[1084] Schlacht Rennewart vermisst, worauf Willehalm gegen das Versprechen, ihm die Auslieferung seines Helden zu bewirken, 25 gefangene heidnische Fürsten freilässt. Damit schliesst das Gedicht, dessen Weiterführung wahrscheinlich durch des Dichters Tod verhindert wurde. Wie Wolframs Titurel, so hat auch sein Willehalm, den die Zeitgenossen sehr hoch schätzten, von jüngern Dichtern Ergänzungen erfahren, und zwar wurden sowohl die Vorgeschichte als der scheinbar fehlende Schluss hinzugedichtet. Die Ergänzung des Schlusses unternahm Ulrich von Türheim aus der Gegend von Augsburg um 1242. Das Gedicht ist noch ungedruckt; Willehalm und Gyburc gehen darin schliesslich ins Kloster. Die Ergänzung der Vorgeschichte rührt von Ulrich von dem Türlin, einem kärnthischen Dichter, her, der im Dienste König Ottokars von Böhmen (1253–78) arbeitete. Auch dieses Gedicht ist bis jetzt ungedruckt.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 1084-1085.
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