Zigeuner

[1101] Zigeuner sind, wie die Sprachforschung erwiesen hat, ein alter, aus seinen Ursitzen ausgewanderter Stamm Indiens; der Name Sinte, den sie sich selbst beilegen, daher ital. zingano und zingaro, deutsch Zigeuner, scheint auf Anwohner des Indus (oder Sind) hinzuweisen. Wie[1101] sie nach Europa gekommen sind, ist bis jetzt unausgemacht, wahrscheinlich geschah es infolge eines Mongolensturmes im 13. Jahrhundert unter den Nachfolgern Dschingischans, und zwar nördlich dem Schwarzen Meer entlang in die Walachei. Von hier wanderten einzelne Banden seit 1415 nach Nord- und Westeuropa; auf deutschem Boden findet man sie zuerst 1417, zur Zeit des Konstanzer Konzils, in den Hansestädten an der Nord- und Ostsee; man nannte sie Tatern, d.h. Tartaren, Heiden, Zigeuner, Böhmen; sie selber hiessen sich Secaner oder Roma. Ohne Kinder zählte die Bande etwa 300 Köpfe, an ihrer Spitze standen ein »Herzog« und ein »Graf«. Sie wiesen Schutzbriefe des Kaisers Sigismund vor, die er ihnen angeblich zu Konstanz oder Lindau ausgestellt haben sollte und laut welchen sie aus Klein-Ägypten kommen und ursprünglich gute Christen gewesen sein sollten, bis ihre Väter abtrünnig geworden und sich zum Heidentum gewandt; darauf hätten ihnen ihre Bischöfe als Busse auferlegt, sieben Jahre lang die Welt zu durchirren und von den Almosen der Christenheit ihr Leben zu fristen. Da man die kaiserlichen Privilegien für echt ansah, fanden die Abenteurer in Lüneburg, Hamburg, Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald zuvorkommende Aufnahme. Doch konnten sie ihren Charakter nicht lange verleugnen und wurden aus Norddeutschland verjagt, worauf sie sich 1418 nach der Schweiz wandten, von wo sich wieder kleinere Banden nach Südfrankreich, Süddeutschland und Italien abzweigten; aus dem letztern Lande brachten sie angeblich Schutzbriefe des Papstes Martin V. mit, worin es hiess, ihre Ahnen hätten einst in Ägypten die Maria und den Joseph, der mit dem Jesuskindchen bei ihnen Gastfreundschaft erfleht, von sich gestossen: dafür müssten nun sie, die Nachkommen, Jahrhunderte lang ohne Rast und Unterlass im Elend umherwandern; an andern Orten, wie in Paris, wo sie 1427 erschienen, tischten sie wieder andere Märchen auf; mit dem Jahre 1433 scheint diese erste Horde vollständig verschollen oder aufgerieben oder in die Heimat zurückgekehrt zu sein. Die eigentlichen grösseren Einwanderungen der Zigeuner in West-Europa und ihre Zerstreuung über den ganzen Kontinent datieren höchstens vom Jahre 1438. An der Spitze der jetzt nach tausenden zählenden Banden stand ein »König«, Zindl genannt. Lange scheinen sie nun in Deutschland herumgezogen, sich auch hie und da angesiedelt zu haben, bis 1500 auf dem Augsburger Reichstage das erste Verbannungsedikt gegen die »Spione des Türkischen Sultans« publiziert wurde, dem nun viele andere folgten; ähnliches geschah in Frankreich, das die Zigeuner wirklich ausrottete, während sie in Deutschland, Spanien und England sesshaft blieben. Pott, die Zigeuner in Europa und Asien, 2 Bände, Halle 1844–45; Liebich, die Zigeuner, Leipzig 1863; Hopf, die Einwanderung der Zigeuner in Europa. Gotha 1870.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 1101-1102.
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