Empirismus

[553] Empirismus nennt man die Methode, welche die Erfahrung überhaupt oder auch nur die äußere sinnliche Wahrnehmung zum Ausgangspunkt aller Gewißheit und alles Erkennens macht. Im ersten Falle wird die übereinstimmende Aussage der Menschen, die Gesammterfahrung des Menschengeschlechtes als maßgebend betrachtet, den sich offenbarenden Gesetzen der Welt und Dinge nachgespürt, z.B. in den historischen und Naturwissenschaften, – und dieser E. ist ebenso nothwendig als mit Vernunft und Religion vereinbar, und zugleich die beste Waffe, um die Spinnengewebe des Rationalismus zu zerreißen. Im andern Falle aber gilt die Seele als tabula rasa, als eine leere Tafel, worauf die Welt durch den Griffel der Sinne alle Begriffe unmittelbar oder [553] mittelbar schreibt, oder als leeres Formengerüst, welches seinen Inhalt von der Außenwelt empfängt und verarbeitet und den Geist niemals über die Welt des Sinnlichwahrnehmbaren sich wahrhaft erheben läßt. Dieser E. ist wesentlich Sensualismus und endiget, einseitig durchgeführt, nothwendig im Materialismus.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 2, S. 553-554.
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