Seneca [2]

[184] Seneca, Lucius Annäus, welcher im J. 2 n. Chr. zu Corduba geb., in Rom sorgfältig erzogen wurde und sich früh ebenso als geist- u. kenntnißreicher Gelehrter wie als Weltmann bemerklich machte. Er gelangte zu hohen Staatsämtern, wurde in schmutzige Hofgeschichten verwickelt u. mußte deßhalb 47 bis 50 n. Chr. als Verbannter auf Corsica leben. Durch Agrippinens, des Kaisers Claudius Gemahlin, Einfluß zurückgerufen, wurde S. der Erzieher des jungen Nero, später dessen Rathgeber, verlor aber seinen Einfluß u. zog sich vom Hofe zurück; als Theilnehmer an C. Pisos Verschwörung verdächtiget, war es für S. eine Gunstbezeugung von Seiten seines ehemaligen Zöglings, daß derselbe ihm die Wahl der Todesart freistellte; 65 n. Chr. ließ sich S. in einem warmen Bad die Adern öffnen und als die Verblutung ihm zu lange ging, nahm er Gift. Er war unstreitig der größte stoische Philosoph seiner Zeit und ein Schriftsteller, dessen Werke freilich oft gar zu declamatorisch u. affectirt reden, aber immerhin für ein reiches Wissen, Scharfsinn u. lebhafte Einbildungskraft, für gute Beobachtungsgabe und für ein so durchgebildetes moralisches Bewußtsein, als bei einem heidnischen Römer damals nur immer gefunden werden mochte, Zeugniß ablegen. Zwischen den schönen Grundsätzen des Stoikers und dem Gebahren des weltklugen Höflings voll Leidenschaften bleibt aber eine tiefe Kluft; mag man auch die kriechende Schmeichelei, die Falschheit und Habgier des S. mit den Verhältnissen seiner Zeit u. seiner Person einigermaßen entschuldigen, so steht doch immerhin fest, daß er ein charakterloser u. zweideutiger Mann gewesen. Seine umfassendste Schrift sind die 124 »Epistolae ad Lucilium«; lieferte philosophische Abhandlungen über die Vorsehung, den Zorn, die Gemüthsruhe, über die Kürze des Lebens u.s.f., in dem Werke »Quaestionum naturalium libri VII« aber die verständlichste Physik der Römer. Unter den erwiesen unächten Schriften des S. möge hier sein Briefwechsel mit dem Apostel Paulus genannt sein. Ob die 10 unter S.s Namen vorhandenen Trauerspiele dem Philosophen od. einem weiters unbekannten S. Tragicus angehören, ist unentschieden; wahrscheinlich stammen dieselben weder aus Einer Zeit noch von Einem Verfasser her und gewiß ist, daß es elende Machwerke sind und nicht werth, daß bedeutende Philologen dieselben bearbeiteten u. E. Sommer sie 1834 ins Deutsche übersetzte. – Erste Ausgabe der Opera des S. in Neapel 1475, mit Noten des Erasmus von Rotterdam in Basel 1515. jüngste von Fickert in Leipz. 1842–45, deutsch von Moser und Pauly.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 184.
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