System

[615] System (gr. systêma) heißt die geordnete Verknüpfung zusammengehöriger Dinge zu einem relativ in sich abgeschlossenen Ganzen. Die Möglichkeit solcher Verknüpfung beruht darauf, daß allem Einzelnen eines Gebietes gewisse Übereinstimmungen, Prinzipien (s. d.) oder Regeln zugrunde liegen. So spricht man vom Planeten-, Pflanzen-, Nervensystem usw. Besonders ist jede reife Wissenschaft ein Ganzes von Erkenntnissen in Form des Systems. Wissenschaftliche Lehren und Systeme verhalten sich wie Inhalt und Form. Dabei ist die Form keineswegs etwas Gleichgültiges oder nur didaktisch Wertvolles, sondern das feste Gerüst für die Wissenschaft, ohne welche diese nicht bestehen kann. Das wissenschaftliche System repräsentiert die objektive Wirklichkeit, ihre Gliederung in seiner Gliederung widerspiegelnd. Systematik ist überall da, wo ein Mannigfaltiges verwandter Gestaltungen oder Betätigungen bewußt auf die Einheit eines Begriffes bezogen wird. Das systematische Verfahren (die Methode!) steht mithin im Gegensatz zum fragmentarischen, rhapsodischen und willkürlichen. Die niedrigste Form des Systems ist die Klassifikation (s. d.), die sich nur nach der logischen Über- und Unterordnung richtet. Höher steht die Systematik nach Grund und Folge; denn sie leitet das Mannigfaltige aus Prinzipien ab und begründet es so. Das Wesen des Systems besteht übrigens nicht darin, daß alle Lehrsätze aus einem Prinzip, sondern daß sie überhaupt aus Prinzipien abgeleitet werden. Alle Glieder müssen in logischem Zusammenhange miteinander stehen, so daß man von einem zum ändern mit Notwendigkeit fortgetrieben wird. Es widerspricht auch nicht dem Wesen der Wahrheit oder der Wahrheitsforschung, daß in derselben Wissenschaft verschiedene Systeme der Reihe nach aufgestellt werden. – Die Systeme sind entweder künstliche oder natürliche. Ein künstliches System ist die Anordnung eines wissenschaftlichen Gebiets nach mehr oder minder willkürlich herausgegriffenen Unterschieden äußerer Merkmale, wobei nicht sowohl der natürliche Zusammenhang der Einteilungsglieder als vielmehr der logische Aufbau der Einteilung nach den vom Menschen gewählten Einteilungsprinzipien die Hauptsache ist. Ein künstliches System kann[615] daher scharfe Grenzen ziehen, ist aber nicht mehr verwendbar sobald das Einteilungsprinzip durch Beibringung neuer Tatsachen eine Abänderung oder Entwertung erfährt (z.B. Linnésches System). Ein natürliches System ist dagegen eine Anordnung eines wissenschaftlichen Gebietes, die nicht Einzelheiten herausgreift, sondern sich auf sorgfältige Untersuchung und Berücksichtigung aller von der Natur gegebenen Verhältnisse des Zusammenhangs gründet, soweit sie nach dem jeweiligen Stand des Wissens bekannt sind. Ein solches System schafft nur selten so scharfe Grenzen wie ein künstliches. Dafür kann es sich aber den Fortschritten der Wissenschaft viel leichter anpassen und Verbesserungen erleiden, ohne daß doch sein Bestand gefährdet ist. – Systematisch heißt eine Erkenntnis, die durch Grundsätze gestützt, klar und vollständig ist. Systematisch heißt der Beweis, welcher auf Grundsätze zurückgeht und mit ihnen folgerichtig in Zusammenhang steht. Die Systematik oder Methodenlehre ist ein Teil der Logik.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 615-616.
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