Homo

[544] Homo.

Homo, frantzösisch, Homme, teutsch, der Mensch, ist das edelste unter allen Thieren; oder, er ist ein Thier, mit Geist und mit Vernunft begabt. Seiner giebt es vielerley Arten, welche durch die Grösse, Gestalt, Ansehen und Farbe von einander unterschieden werden.

Durch die Grösse werden sie voneinander unterschieden: dann, es giebet gar sehr grosse Menschen, dergleichen diejenigen sind, welche in den Nordländern gebohren werden und wohnen: andere dagegen sind gar klein. So bekommen wir auch Riesen, desgleichen Zwerge zu Gesichte.

Durch die Figur: einige sind dicke, fett und wol bey Leibe; andere geschlanck und hager; wiederum sind andere weder zu fett noch zu mager. Die einen haben einen runden Kopf, an andern ist er länglicht. An einigen ist der Hals gar lang und frey: an andern ist er kurtz, dicke, und steckt gleichsam zwischen[544] ihren Schultern. Also giebt es in Indien gewisse Völcker, denen stehet der Kopf so nahe an den Schultern, welche gar erhaben sind, daß es das Ansehen gewinnet, als stünde er daselbst, wo unsre Brust befindlich ist.

Durch das Ansehen. Dann, etliche haben eine linde weiche Haut, ein liebliches Gesichte, das gütig und doch dabey ernstlich ist: andere haben im Gegentheil eine rauche Haut, die voller Haare ist, als wie die wilden Leute, und eine traurige und trotzige Physiognomie.

Durch die Farbe. Einige sind weiß, andere schwartz, andere gelb oder bräunlicht.

Unterschiedene, die gereiset haben, berichten, wie daß es auf Borneo, einer Insel, auch sonst an vielen andern Orten mehr in Indien, in den Höltzern eine Art wilder Thiere gäbe, Homme sauvage der wilde Mann genannt, welches an allen seinen Gliedmassen einem Menschen dermassen ähnlich sehen soll, daß, wann es reden könte, man es unmöglich würde von gewissen Barbarn unterscheiden können, die ohnedem gar viel von eines unvernünftigen Viehes Natur an sich haben.

Dieses wilden Mannes Haut ist gantz rauch, das Gesichte dörre und verbrannt, die Augen liegen tieff im Kopfe, und sieht im übrigen gar grimmig aus: doch sind die Lineamenten des Gesichts noch ziemlich wol gestalt, ob sie gleich von der Sonnen Hitze aufgelauffen und gantz rauhe worden. Er geht als wie ein Mensch, nur auf zwey Füssen, allein dermassen schnell, daß einer, der zu Pferde ist, mit Mühe, auch im völligen Galop, ihn wird einholen können: anbey hat er eine gantz abscheuliche Stärcke. Die Könige und Printzen haben ihre gröste Lust, wann sie ihn, als wie die Hirsche jagen können. Es könte dieser wilde Mann auch wol eine Art der grossen Affen seyn: und ist recht zu verwundern, daß wir gar keinen richtigern Bericht von diesem Thier erhalten können, als was wir aus dem Munde der Reisenden vernehmen, die dannoch oftmahls sagen, was sie von blossen hören sagen haben, und doch persönlich nicht gesehen. Es ist wol wahr, daß in einigen Chinesischen Reisebeschreibungen desselbigen, jedoch sehr unterschiedentlich, erwähnet wird.

In den Memoires de Trevoux des Monats Januarius und Februarius 1701. befindet sich ein Auszug eines Briefes, der aus Indien den 10den Jenner 1700. ist geschrieben worden. Der Autor, dessen Namen nicht gemeldet wird, schreibt so: was er in den Chinesischen Nachrichten von dem wilden Manne auf Borneo gelesen hätte, sey mehr dann zu wahr: dann, als er sich den 19den May 1699. auf der Rhede von Batavia befunden, habe er auf der englischen Fregatte London, so von Borneo zurück gekommen, ein Kind dieser wilden Leute gesehen, welches, gleichwie man solches versichern wolle, noch nicht drey Monat alt, ihm dannoch auf die zwey Fuß hoch vorkommen. Es sey mit annoch kurtzem Haar bedecket gewesen, habe einen Kopf gehabt, so rund und eben so gestalt, als wie ein andrer Mensch, nur die Augen, der Mund und das Kinn hätten eine in etwas andere Figur gewiesen. Es ware, schreibt er, so gar stumpfnäsig, daß fast gar nichts nicht von der Nase zu ersehen. Dieses Thier hatte weit mehrere Stärcke als wie sonst Kinder von sechs bis sieben[545] Jahren haben mögen, welches ich, fähret er fort, sofort bemerckete, als ich es bey der Hand zoge, dann da verspürete ich ungemeinen Widerstand: es liesse sich ungerne sehen, und wann es ja aus seiner Zelle, die man ihm gemachet, herausgehen muste, bezeugete es sich recht verdrießlich drüber, hatte übrigens gantz menschliche actiones. Wann es sich niederlegte, so legete sichs auf die Seite und auf die eine Hand: der Puls fand sich an seinem Arme, als wie bey uns Menschen; die rechte und vollkommene Grösse dieser Thiere ist den grösten Leuten gleich: sie lauffen aber so behende wie ein Hirsch, und brechen in den Höltzern die Aeste von den Bäumen, und schlagen damit die vorübergehenden zu tode. Wann sie jemand erschlagen können, so saugen sie ihm das Blut aus, das schmecket ihnen besser als das delicateste Geträncke: es sollen auch diese Thiere ungemein geil seyn.

Vielleicht daß doch jemand gar wunderlich vorkommen dürffte daß ich den Menschen unter die Materialien gestellet habe. Allein die Folge wird erweisen, daß solches ohne Ursach nicht geschehen sey, weil von demselben unterschiedene Dinge genommen, und zu der Artzney gebrauchet werden. Es führen alle und iede Theile des Menschen, ja selbst der Unflat, sehr viel Oel und flüchtiges Saltz, so mit Erde und mit phlegma vermischet und darein verwickelt sind.

Die Mumia und balsamirte Menschencörper, das Gehirne zusamt dem Hirnschedel, der Menschenstein werden zur Artzney gebraucht. Von einem ieden habe ich an seinem und gehörigen Orte gehandelt.

Das menschliche Haar dienet zu Dämpfung der Dünste, und sie werden angezündet und dem Patienten dran zu riechen vorgehalten: auch wird ein trefflich flüchtig und durchtringend Saltz daraus destilieret, welches eben so gute Kraft hat, als wir das aus des Menschen Hirnschedel bereitet wird: wovon mein Buch von der Chymie kan nachgelesen werden.

Usnée du crane humain, Usnea cranii humani, das Moos vom Menschen Hirnschedel, das Blut, und der Urin sind gleichergestalt zur Artzney gebräuchlich: davon an ihrem Orte.

Ordure jaune des oreilles, Cerumen aurium, das Ohrenschmalz, der gelbe Unrath, der mit einem Ohrlöffel aus den Ohren gezogen wird, auf frantzösisch auch Cire d'oreille genannt, zertheilet und ist zu dem Wurm am Finger, bald im Anfang, gut und dienlich.

Die Nägel an Händen und an den Füssen machen brechen, wann sie zart geraspelt und sodann an, und für sich selbsten eines Scrupels schwer gegeben werden: oder aber, wann auf zwey Scrupel dererselben Wein gegossen und eine Weile darauf stehen gelassen wird.

Wie Weibermilch ersetzet die verlohrnen Kräfte, lindert, ist gut für die Brust, zur Schwindsucht und zu anderen auszehrenden Kranckheiten: sie wird auch in die Augen getröpfelt und dadurch die Schärffe gelindert und die Entzündung dererselbigen gemindert.

Frischer Menschenharn purgiret gut, und dienet zu dem Podagra, zu den aufsteigenden Dünsten der Mutterbeschwer, die Verstopfungen zu heben, wann man früh nüchtern zwey bis drey Gläser voll davon austrinckt. Er stillet auch die Schmertzen des Zipperleins, wann er gantz warm wird auf das wehethuende Glied aufgelegt: er zertheilet und trocknet die[546] Krätze ab, die Flechten und andere Unreinigkeiten der Haut.

Der Menschenmist macht zeitig, zertheilet, erweichet, lindert, ist gut zu den Geschwüren, anthrax genannt, und daß es zusamt den Pestbeulen eytern kommen kan, auch zur Zertheilung bey der Bräune, wann er aufgeleget wird. Einige loben ihn gar sehr, wann er gedörret, zu Pulver gestossen und dann eingenommen wird, zum bösen Wesen und den Wechselfiebern. Lateinisch wird er Oletum und Stercus humanum genannt. Auf einmahl wird ein Scrupel bis auf ein gantzes Quintlein eingegeben.

Homo kommt von humus, Erde, dann der Mensch ist aus Erde gemacht.

Oletum kommt von oleo, id est, fœteo, ich stincke.

Quelle:
Lemery, Nicholas: Vollständiges Materialien-Lexicon. Leipzig, 1721., Sp. 544-547.
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