XIX

[147] Das Abendessen versammelte die Gesellschaft traulich um einen runden Tisch, wo die Unterhaltung allgemein wurde, und bald sich leicht und ungezwungen um verschiedene nicht uninteressante Gegenstände bewegte.

Der Gesandte, der unter der Hülle äußeren Ernstes einen heitern, jovialischen Sinn verbarg, fand Vergnügen daran, mit der Gräfin, deren neckend muntere Laune ihn anzog, einen immerwährenden kleinen Krieg zu führen.[147]

Nicht aus einem gewissen Geist des Widerspruchs, sondern um sie stets von Neuem anzuregen, und ihr Gelegenheit zu geben, ihrem Muthwillen freien Lauf zu lassen, bildete er stets ihre Oppositionsparthei, und bestritt, sie gern zuweilen selbst bis zu leichtem Unwillen reizend, alles, was sie sagte und behauptete.

So ergriff er auch jetzt wieder lebhaft die entgegengesetzte Meinung, um sie zu vertheidigen, als die Gräfin über ihr Lieblings-Thema, die Unbeständigkeit der Männer, gerathen war, und der weiblichen Beharrlichkeit in Lieb und Treue und allem Guten das Wort redete, und besonders bestritt er die auch von ihr in Schutz genommene, und als etwas Heiliges und Unauslöschliches betrachtete erste Liebe, der er durchaus nur in der Reihe der Irrthümer und der Selbsttäuschungen ihren Platz anweisen wollte.

Denn er erklärte geradezu, es gehöre zu den Chimären des Menschen, und insbesondere der Frauen, an die Ewigkeit einer ersten Liebe zu glauben, und man müsse den Schwachen, irgend eines Stabs Bedürftigen auch diesen Wahn nicht rauben, da man ihnen nicht leicht eine Entschädigung dafür geben könne.

Aber bei Mann und Weib sei die erste, zweite, dritte Liebe gewöhnlich ein Fehlgriff, der sich bitter bestrafe, wenn das Herz nicht[148] Kraft genug habe, sich aus Banden leise zurückzuziehen, die alles Glück stranguliren würden, wolle man sie nur aus Pflichtgefühl enger noch zusammen knüpfen. Denn, fuhr er fort, wie der junge Adler seine Flügel prüft, und, vom Instinkt getrieben, von mütterlichem Nest hinwegflattert, um bald den Wipfel eines Baums, bald ein sonniges Thal zu erreichen, so strebt auch der jugendliche Sinn zu jener Vereinigung, die ihm Vollendung dünkt. Doch des jungen Adlers Versuche mislingen oft, denn ehe ihm die Flügel nicht recht gewachsen sind, können sie ihn nicht mit Sicherheit tragen. So auch die Liebe des Menschen. Jene feste, dauernde, treue Liebe, die unser eigentlichstes, wahrstes Glück gründet, kann nur aus sogenannter Untreue hervorgehen, wie der Phönix der Fabel sich aus der Asche empor hebt. Denn erst nach mehreren Versuchen weiß das Herz, was es bedarf zur Erwiederung seiner innigsten Gefühle. Früher wirkte Zufall, Stimmung, misverstandene Sinnlichkeit und Wunsch, die innere Leere ausgefüllt zu sehen, auf unsere Wahl, und wir reichen voreilig dem Wesen, das uns entgegen tritt, die Hand, und wähnen nun, der ganze dunkle Raum der Zukunft müsse sich in ein blühendes Paradies verwandeln. Doch – nach und nach werden die goldenen Illusionen zu Flittergold,[149] das rauschend von verwelkten Kränzen abfällt – wir finden uns getäuscht und täuschen wieder, indem wir gewaltsam uns zum Worthalten von Dingen zwingen wollen, die sich eigentlich gar nicht versprechen lassen. Endlich ist der Freiheit Kleinod wieder errungen, und vorsichtiger wagen wir den zweiten Versuch; denn darin gleicht das Herz dem Taucher, der doch wieder ins Meer hinabstürzt, wenn er gleich mehrere Muscheln heraufgebracht hat, in denen keine Perle war. Finden wir auch hier nicht dies Echo eines vollharmonischen Gemüths in der Brust, der wir zum zweitenmal die Krone des Lebens reichten – nun so schrecken die Mistöne, die wir vernehmen, uns schon leichter wie das erstemal, der dritten Liebe zu, und so fort und immer fort, bis wir endlich finden, was uns noth thut, oder bis wir auch verzagen, und zweifeln müssen, daß es auf Erden existirt.

Ich glaube gern, daß Sie diese schönen Erfahrungen aus der Wirklichkeit, oder vielmehr aus ihrem eigenen Leben entlehnt haben, unterbrach ihn die Gräfin, und begreife nun um so leichter, woher es kommt, daß sich die meisten Männerherzen so abnutzen, daß sie nur in Trümmern und einzelnen Bruchstücken, oder wie eine Münze, an der das Gepräge verwischt ist, das Ziel erreichen.

[150] Die Herzen, deren Gepräge sich verwischen, antwortete der Gesandte lachend, sind nur Fleischklumpen, von der warmen Blutwelle zu thierischen Funktionen, nicht zu jener höheren Sehnsucht getrieben, die ja eigentlich nur allein die Ursache des sogenannten männlichen Wankelmuthes ist. Wie die frische Quelle sich ewig erneut, so viel auch aus ihr geschöpft wird, so – nur immer mehr gereinigt durch das Sandbad der Erfahrung – ist auch ein reich ausgestattetes liebefähiges Herz, habe es sich auch noch so oft vorher, vom Wahn verblendet, hingegeben.

Uebrigens will es denn doch auch verlauten, daß die so hoch gerühmte weibliche Beständigkeit schon vom Anfang der Welt an gar manchen Anfechtungen, nicht nur unterworfen gewesen, sondern auch erlegen ist, und daß besonders bei Ihrem Geschlecht sich der alte Satz bewährt, daß – wenn die Sonne untergegangen, dann die Sterne zu flimmern beginnen, c'est à dire, wenn ich eine freie Uebersetzung dieser Behauptung hinzufügen darf: wenn der Geliebte abwesend, oder heimgegangen ist, wie die Herrnhuther zu sagen pflegen, so fangen auch geringere Subjekte an zu interessiren – sind überall als Lückenbüßer und um den Triumphwagen der Damen desto rascher zu ziehen, gar nicht überflüssig und unwillkommen.[151]

Die Gräfin wollte schlechterdings dies nicht zugestehen. Doch fand sie, daß sie mit sehr ungleichen Waffen gegen ihren Widersacher kämpfe, indem er, der schlaue Diplomatiker, vermöge seines Berufs, schon gewohnt sei, sich und Andere durch allerhand glänzende Scheingründe sophistisch zu bestechen, und die Wahrheit – wenn auch nicht geradezu zu verläugnen, doch so zu verdrehen, daß sie am Ende alles Andere, nur nicht Wahrheit, sei. Sie foderte die übrigen anwesenden Damen auf, sie doch nicht allein sich aufopfern und den Märtyrertod für den Ruhm ihres Geschlechts sterben zu lassen, sondern ihr beizustehen. Alle aber fanden ihre Angelegenheiten in den besten Händen.

So wandte sie sich zuletzt denn an Alexander. Sie, den ich heute zu meinem Ritter erwählt habe, sagte sie, dessen Pflicht es ist, jeden Unglimpf zu rächen, der mir widerfährt – können Sie so ruhig anhören, wie man uns arme wehrlose Frauen, und vor allen mich, ihre Stellvertreterin, kränkt und verläumdet? Wenn Sie auch nicht meine Farbe tragen, so heben sie doch wenigstens ritterlich den Handschuh auf, den dieser durch die dritte, vierte Hand liebende Held mir so höhnend zuwirft!

Gewiß, gnädige Frau, antwortete er, es ließe sich für keine schönere Veranlassung eine[152] Lanze brechen, und sie finden mich hier, wie immer, zu Ihrem Dienste bereit. Ich erkenne und ehre die weiblichen Tugenden viel zu sehr, um Beständigkeit, eine der herrlichsten derselben, zu bezweifeln, und mein eigenes Gefühl, ich darf sagen, meine eigene Erfahrung hat schon früher in mir gewagt, den Beschuldigungen Sr. Excellenz zu widersprechen. Denn, was bei dem weniger zart organisirten Mann möglich ist: die Gewalt des ersten unauslöschlichen Eindrucks sich fürs ganze Leben zu bewahren – wie sollte dies nicht bei den Frauen noch weit natürlicher und unerläßlicher seyn – bei ihnen, deren Gemüth der geweihte Tempel einer jeden Gottheit ist, die wir Unschuld, Treue, Reinheit und Liebe nennen? Und wir – hier berührte sein funkelnder Blick schüchtern im Vorüberstreifen Erna, die sogleich verlegen die großen Augen senkte – wir denken, wenn uns einmal eine Sonne warm und wahrhaft durchglüht hat, ewig an den schönen Strahl zurück, und bemerken weder Nebensonnen noch Sterne, wenn sie auch noch so hell glänzen.

Nun fürwahr, unterbrach ihn die Gräfin mit der ihr eigenen Art zu scherzen, indem sie aufstand, ritterliche Galanterie traute ich Ihnen zu, mir beizustehen, nicht aber, daß Sie, von Ihren Gefühlen und Erfahrungen unterstützt,[153] ein Lobredner der Beständigkeit werden, und sie sogar unter die Eigenschaften des männlichen Charakters, und des Ihrigen insbesondere zählen würden. Das übertrifft meine Erwartung, und die diplomatische Excellenz wird sich nun gewiß auch ohne Blutvergießen für überwunden erklären. Daher darf ich jetzt auf einen ehrenvollen Rückzug denken, da die Mitternachtstunde ohnehin nach einer weisen häuslichen Polizeieinrichtung die letzte seyn sollte, die man außer dem Bette zubringt.

Heiter wie man zusammen gewesen war, ging man auseinander, und Alexander nahm, als den letzten Gewinn dieses reichhaltigen Tages, die Einladung des Gesandten mit auf den Weg, so oft er nur immer selbst wolle, seinen Besuch zu wiederholen.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 147-154.
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