LXXVIII.

[77] 1. Der mond der scheint so helle,

zu liebes fensterlein ein,

Wo nu zwey liebe bey einander sein,

die scheiden sich bald von hier.


2. Der wechter an der zinnen stund,

hub an ein lied und sang,

Du solt zu meinem herren kommen,

und machen jm die weile nit lang.


3. Zu deinem herren komme ich nicht,

er ist mir ja nicht hold,

Ich habe zu lang geschlaffen,

bey seiner jungen frawen stolz.


4. Hastu so lange geschlaffen,

bey seiner jungen frawen stolz,[77]

So soltu morgen hangen?

ein galgen ist dir bereit.


5. Warumb sol ich morgen hangen?

ich bin doch ja kein dieb,

Das hertz in meinem leibe,

das hat die frewlein lieb.


6. Und da der hübsche schreiber,

zu der hohen thür ausreit,

Da begegnet jm ein zimmerman,

ein galge war jm bereit.


7. Wie stehestu hie ein galgen,

ein schwarzer rabenzweig,

Ach sol darinnen verzehren,

mein feiner junger leib.


8. Und da der hübsche schreiber,

die erste sprossen auftrat,

Er sprach jhr sieben landes herren,

gebet mir eines wortes macht.


9. Ob dar ein frewlein keme,

wol für euer betlein stahn,

Wolt jr sie hertzen und küssen,

oder wolt jhr sie lassen gahn?


10. Zu hand sprach sich ein alt greise,

ein alter greis grawer man,

Ich wolt sie hertzen und küssen,

und schliessen in meine weisse arm.


11. Und als der hübsche schreiber,

die letzte sprosse aufftrat,

Da stund des jungen marggraffen weib,

und sehr für den schreiber bat.


12. Nun steig herab mein schreiber,

und friste deinen jungen leib,

Für dich so hat gebeten

des jungen marggraffen weib.[78]


13. Und hat für mich gebethen

des jungen marggraffen sein weib,

So sterke sie got von himmel,

und friste jren jungen leib.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 77-79.
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