CLVI.

[203] 1. Mit freundlichen augen wincken,

bringt lust meins hertzen beger,

wenn ich an die liebste gedencken,

wie gerne ich bey jr wer,

sie ist von solchem wesen,[203]

das anders nit sein und mag,

die schönste hab ich auserlesen,

o Gott möcht ich bey jr wesen,

sie geliebet mir je lenger je mehr.


2. Wie schwer felt mir mein leiden,

das ich von der liebsten mus sein,

uber all die da leben,

sol sie mir die liebste sein,

umbfangen und auch verbunden,

wol in das hertze mein,

in meines hertzen grunde,

rast sie zu aller stunde,

das zarte jungfrewlein.


3. Sie hat zwey freundlich augen,

die leuchten recht wie die stern,

die thet sie mir freundlich schiessen,

denn ich sie sihe gern,

sie hat zwen rote wangen,

die haben betrogen mich,

nach jr trag ich verlangen,

sie hat mein hertz umbfangen,

ich seh sie von hertzen gern.


4. Kein mensch mag mich erfrewen,

denn ich bin trawriglich,

die ich eins pflag zu freyen,

die hat begeben mich,

wolan ich mus es leiden,

das anders nit sein und mag,

ins best wil ich es kehren,

vertragen mus ich lehren,

und führen verloren spiel.


5. Hertz lieb die falschen zungen,

das anders nit kan sein,

lassen uns keiner freundschafft geniessen,

schöns lieb ob es kan sein,

und sollen wir zwey uns scheiden,[204]

stell dein gedancken von mir,

so trab ich uber die heyden,

stets wil auff dich beyten,

desgleichen thu du auch zu mir.


6. Hertzlieb wöllest bedencken,

die grosse schwere pein,

so sich von dir mus scheiden

das junge hertze mein,

ich wil es dir bedeuten

das heimlich leiden mein,

so ich bin bey den leuten,

kan ich nit wol verbergen,

das heimlich freyen zu dir.


7. Seufftzen und fantasiren,

darzu gantz trawriglich,

hab ich für ein manieren,

glaub es mir sicherlich,

das machen die falschen kleffer,

mit jrem falschen rath,

die scheiden mich von meim bulen,

es sol sie noch wol rewen,

des trag ich ein freyen mut.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 203-205.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon