[225] Ermuntert euch ihr Frommen,
Zeigt eurer Lampen Schein;
Der Abend ist gekommen,
Die finstre Nacht bricht ein.
Es hat sich aufgemachet
Der Bräutigam mit Pracht;
Auf! betet, kämpft und wachet,
Bald ist es Mitternacht.
Macht eure Lampen fertig,
Und füllet sie mit Oehl;
Seyd nun des Heils gewärtig,
Bereitet Leib und Seel!
Die Wächter Zions schreien,
Der Bräutigam ist nah,
Begegnet ihm im Reihen,
Und singt Halleluja.
Ihr klugen Jungfraun alle
Hebt nun das Haupt empor,
Mit Jauchzen und mit Schalle
Zum frohen Engelchor.
Die Thür ist aufgeschlossen,[225]
Die Hochzeit ist bereit,
Auf! auf ihr Reichsgenossen,
Der Bräutgam ist nicht weit.
Er wird nicht lang verziehen,
Drum schlaft nicht wieder ein;
Man sieht die Bäume blühen
Der schöne Frühlingsschein
Verheißt Erquikungszeiten,
Die Morgenröthe zeigt
Den schönen Tag von weiten
Vor dem das Dunkle weicht.
Wer wollte denn nun schlafen?
Wer klug ist, der ist wach;
Gott kommt, die Welt zu strafen,
Zu üben Grimm und Rach
An allen, die nicht wachen,
Und die des Thieres Bild
Anbeten, sammt dem Drachen:
Drum auf, der Löwe brüllt.
Begegnet ihm auf Erden,
Ihr, die ihr Zion liebt,
Mit freudigen Geberden,
Und seyd nicht mehr betrübt!
Es sind die Freudenstunden
Gekommen und der Braut
Wird, weil sie überwunden,
Die Krone nun vertraut.
Hier sind die Siegespalmen,
Hier ist das weiße Kleid;[226]
Hier stehn die Waitzenhalmen,
Im Frieden nach dem Streit,
Und nach den Wintertagen,
Hier grünen die Gebein,
Die dort der Tod erschlagen,
Hier schenkt man Freudenwein.
Hier ist die Stadt der Freuden,
Jerusalem der Ort,
Wo die Erlösten weiden,
Hier ist die sichre Pfort.
Hier sind die goldnen Gassen,
Hier ist das Hochzeitmahl;
Hier soll sich niederlassen,
Die Braut im Rosenthal.
Ausgewählte Ausgaben von
Des Knaben Wunderhorn
|
Buchempfehlung
Nachdem Christian Reuter 1694 von seiner Vermieterin auf die Straße gesetzt wird weil er die Miete nicht bezahlt hat, schreibt er eine Karikatur über den kleinbürgerlichen Lebensstil der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«, die einen Studenten vor die Tür setzt, der seine Miete nicht bezahlt.
40 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro