Den Frauen

[20] Ihr richtet streng, der Sitte heil'ge Vehm',

Und schleudert auf mein Haupt das Anathem!

Mögt ihr zu Boden stürzen eure Kerzen

Und schlagen an die Brust, so tugendreich:

Ich fühl' es mächtig in dem tiefsten Herzen,

Daß meine Sünde eurer Tugend gleich.


Der Unschuld Lilien mögen euch umblühn,

Das Roth der Schaam auf euern Wangen glühn;

Wie Schwäne sich auf stillen Fluthen schaukeln,

Gefühle still durch eure Seele ziehn;

Wie Falter neckend durch die Blumen gaukeln,

Der Liebe Wünsche leis' vorüberfliehn!
[20]

Quält euch ein flammend Sehnen fessellos,

Mögt ihr entsagen stolz und seelengroß;

Mögt still verzehren eure heiße Jugend,

Auskämpfen ritterlich den heil'gen Krieg,

Und mit dem Vollmachtsbriefe eurer Tugend

Dem Tod, der Hölle nehmen ihren Sieg!


Ich achte dennoch eure Tugend nicht,

Verwerfe kühn eu'r heiliges Gericht!

Seid des Gesetzes Hort, der Sitte Rächer,

Des frommen Glaubens treuer Genius!

Es lebt ein heil'ger Geist auch im Verbrecher.

Der Freie sündigt, weil er sünd'gen muß!


Das Leben auch verlangt sein mächtig Recht,

Verlaßt des starren Wortes todten Knecht;

Aus edlem Feuer flossen meine Sünden,

Aus Drang des Herzens, glüh'nder Leidenschaft.

Für sie würd' ich schon hier Vergebung finden,

Die Zeugen meines Werthes, meiner Kraft.
[21]

Entsagen ist der Nonne Stolz und Ruhm,

Beglücken ist des Weibes Heiligthum,

Ihr wollt mühsam die Ewigkeit ergründen,

Mir lächelt sie aus jedem Augenblick;

Ihr wollt das Glück in eurer Tugend finden,

Ich finde meine Tugend nur im Glück.


Wenn mich der Liebe Flammen heiß umsprühn,

Will ich in sel'gem Feuertod verglühn;

Doch aus den Gluthen steig' ich neugeboren,

Wie sich der Phönix aus der Asche schwingt,

Geläutert ward mein Wesen – nicht verloren,

Zu neuem, heil'gem Liebesglück verjüngt.
[22]

Quelle:
Louise Aston: Freischärler-Reminiscenzen. Leipzig 1850, S. 20-23.
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