Vierte Geschichte

[539] Tofano sperrt eines Nachts seine Frau aus dem Hause aus. Da sie auf ihre Bitten hin keinen Einlaß erhält, tut sie, als stürze sie sich in einen Brunnen, indem sie einen großen Stein hineinwirft. Tofano kommt hierauf aus dem Hause, die Frau schleicht sich hinein und sperrt nun ihn aus, wobei sie ihn zugleich ausschilt und verhöhnt.


Als der König Elisas Geschichte geendet sah, wandte er sich ohne Zögern zu Lauretta und deutete ihr dadurch an, daß sie erzählen möge. So begann sie ohne Aufschub:

O Liebe, wie groß und gewaltig ist deine Macht! Wie mannigfach sind deine Ratschläge und Erfindungen! Welcher Weise, welcher Künstler könnte jemals solche Listen, Ausflüchte und Eingebungen ersinnen, wie du sie denen, die deinen Spuren folgen, plötzlich darbietest? Fürwahr, jede andere Unterweisung[539] ist langsam und schwerfällig im Vergleich zu der deinen, wie jeder aus den Geschichten ersehen kann, die euch schon erzählt wurden. Zu diesen, ihr liebevollen Mädchen, will auch ich noch eine List hinzufügen, zwar von einer einfachen Frau angewendet, aber der Art, daß ich nicht wüßte, wer anders als die Liebe ihr diese hätte eingeben können.

In Arezzo also lebte einst ein reicher Mann, welcher Tofano hieß und eine schöne Frau, deren Name Monna Ghita war, zum Weibe erhalten hatte, auf die er alsbald, ohne zu wissen warum, höchst eifersüchtig wurde. Als es die Frau gewahr ward, verdroß es sie, und nachdem sie ihn mehrmals nach den Gründen seiner Eifersucht gefragt und er keine andern anzuführen gewußt hatte als ganz allgemeine und belanglose, faßte sie den Entschluß, ihm das Gift wirklich zu reichen, vor dem er ohne Grund solche Furcht hatte.

Sie hatte bemerkt, daß ein junger Mann, nach ihrer Meinung sehr achtbar, sie mit liebendem Auge beobachtete, und fing nun vorsichtig an, sich mit ihm zu verständigen. Schon waren die Sachen zwischen ihm und ihr so weit gediehen, daß nichts mehr übrig war, als mit der Tat den Verabredungen Wirkung zu geben, da dachte die Frau darauf, wie sie auch hierzu Mittel fände. Unter den üblen Gewohnheiten ihres Mannes hatte sie erkannt, daß er an dem Trunke sehr großes Vergnügen fand. Sie fing daher an, ihm diesen nicht allein zu empfehlen, sondern ihn auch gar häufig auf listige Weise zum Trinken herauszufordern. Und das war denn bald so sehr Gewohnheit bei ihm, daß sie ihn fast jedesmal, wenn es ihr genehm war, bis zum Rausche verleitete. Sobald sie ihn aber gehörig betrunken sah, schickte sie ihn zu Bett und fand sich alsdann mit ihrem Liebhaber zusammen, was sie auch später sicher und häufig fortsetzte. Ihr Vertrauen auf die Räusche ihres Mannes war so groß, daß sie nicht allein den Mut hatte, den Geliebten in ihr Haus zu führen, sondern selbst zuweilen einen großen Teil der Nacht in seinem Hause, das von ihrem nicht weit entfernt war, zubrachte.

Indem nun das verliebte Weib in dieser Weise zu leben fortfuhr, bemerkte ihr jämmerlicher Gemahl doch, daß sie bei aller Trinkerei, zu der sie ihn aufforderte, selbst niemals trank.[540] Hieraus schöpfte er Verdacht, es könnte sich so verhalten, wie es ja auch war, daß nämlich die Frau ihn nur berauscht machen wollte, um dann, während er schlief, ihrem Vergnügen nachzugehen. Entschlossen zu erproben, ob dem so wäre, stellte er sich eines Abends, ohne am Tag getrunken zu haben, in Sprache und Benehmen wie der betrunkenste Mensch, der je auf der Welt war. Die Frau glaubte dies, und da sie annahm, daß er nicht mehr zu trinken brauche, um gut zu schlafen, steckte sie ihn schnell ins Bett. Dies getan, eilte sie, wie es schon öfter geschehen war, aus dem Hause zu ihrem Liebhaber, bei dem sie bis zur Mitternacht verweilte.

Als Tofano seine Frau im Hause nicht mehr vorfand, stand er schnell auf, ging zur Tür, schloß diese von innen zu und trat ans Fenster, um sie zurückkehren zu sehen und ihr dann zu zeigen, daß er ihre Künste durchschaut habe. Und so lange blieb er, bis die Frau heimkehrte. Als diese an das Haus kam und sich ausgeschlossen sah, war sie sehr bestürzt und begann zu versuchen, die Tür mit Gewalt zu öffnen.

Nachdem Tofano dies ein Weilchen mit angesehen hatte, rief er hinab: »Frau, du mühst dich umsonst, denn hier hinein kommst du nicht. Geh und kehre dahin zurück, wo du bis jetzt gewesen bist, und sei überzeugt, daß du nicht eher hier hereinkommst, als bis ich dir in Gegenwart deiner Verwandten und Nachbarn die Ehre, die du so sehr verdienst, erwiesen habe.« Nun fing die Frau an, ihn um Gottes Liebe willen zu bitten, daß er so gut sein möchte, ihr aufzutun; denn sie käme nicht von daher, von wo er glaubte, sondern sie habe bei einer Nachbarin gewacht, die in den langen Nächten nicht schlafen könne und sich scheue, allein im Hause aufzubleiben. Ihre Bitten jedoch halfen ihr nichts; denn jener rohe Tölpel war entschlossen, daß alle Einwohner von Arezzo ihre Schmach, welche bis dahin niemand wußte, erfahren sollten.

Als die Frau sah, daß alles Bitten nichts half, nahm sie zum Drohen ihre Zuflucht und sprach: »Öffnest du nicht, so will ich dich zum unglücklichsten Menschen der Welt machen.« »Was kannst du mir schon tun?« entgegnete ihr Tofano. Die Frau, welcher Amor bereits den Geist geschärft hatte, erwiderte ihm aber: »Ehe ich die Schmach dulde, die du mir unverdient antun[541] willst, stürze ich mich in den Brunnen, der hier nahebei ist, und wenn ich dann tot darin gefunden werde, so wird niemand etwas anderes glauben, als daß du in deiner Trunkenheit mich hineingestürzt hast; dann wirst du entweder fliehen müssen und verlieren, was du besitzt, und in der Verbannung leben, oder man wird dir als meinem Mörder, wie du es dann wirklich gewesen sein wirst, den Kopf abschlagen.«

Doch auch diese Worte brachten Tofano nicht von seinem törichten Entschluß ab. Deshalb rief die Frau denn aus: »Nun, ich kann dein widerwärtiges Beginnen nicht länger ertragen. Gott verzeihe dir. Laß meinen Spinnrocken wegnehmen, ich lasse ihn hier.« Dies gesagt, ging sie durch die Nacht, welche so finster war, daß man einander auf der Straße kaum sehen konnte, zu dem Brunnen hin, ergriff einen mächtigen Stein, der unten an der Einfassung lag, rief noch einmal: »Gott, verzeihe mir!« und ließ den Stein in den Brunnen hinabfallen. Als Tofano das gewaltige Geräusch hörte, das der Stein machte, da er auf das Wasser prallte, glaubte er zuversichtlich, seine Frau habe sich hineingestürzt. Schnell ergriff er daher Strick und Eimer und rannte, um sie zu retten, aus dem Hause und zum Brunnen.

Die Frau, welche sich unterdessen nahe der Haustür versteckt gehalten hatte, schlüpfte, sobald sie ihn auf den Brunnen zueilen sah, leise in das Haus, schloß sich darin ein, trat dann ans Fenster und sagte: »Wasser soll man zugießen, solange man trinkt, nicht hinterdrein in der Nacht.« Als Tofano das hörte, erkannte er den Possen, den sie ihm gespielt, und kehrte zur Türe zurück. Da er jedoch nicht ins Haus konnte, begann er der Frau zuzurufen, daß sie ihm öffnen möchte. Sie aber hörte jetzt auf, leise zu sprechen, wie sie erst getan, und erwiderte ihm mit lauter Stimme und fast schreiend: »Gottes Kreuz, widerwärtiger Trunkenbold, du kommst diese Nacht nicht ins Haus. Ich kann deine schlechten Manieren nicht länger ertragen. Jedermann soll nun erfahren, was du für einer bist und zu welcher Nachtstunde du nach Hause kommst.«

Tofano, nicht weniger erzürnt, fing nun seinerseits zu lärmen an und die Frau zu schmähen. Die Nachbarn, Männer und Frauen, standen über dem Lärm auf, stürzten an die Fenster[542] und fragten, was es denn gäbe. Nun begann die Frau zu weinen und rief: »Der Schändliche ist's, der mir jeden Abend betrunken nach Hause kommt oder in den Schenken schläft und dann zu dieser Stunde heimkehrt. Lange genug hab ich's ertragen. Weil es aber nichts geholfen hat, habe ich ihm die Schande machen müssen, ihn auszusperren, um zu sehen, ob ihn das nicht bessern wird.« Tofano, der Tölpel, erzählte seinerseits, wie die Sache wirklich gewesen war, und drohte nur heftig. Aber die Frau rief ihren Nachbarn zu: »Nun seht nur, was das für ein Mensch ist! Was sagtet ihr wohl, wenn ich auf der Straße stünde wie er und er im Hause wäre wie ich? Gottestreu, ich zweifle nicht, daß ihr glaubtet, er sagte die Wahrheit. Daran aber könntet ihr seinen Sinn erkennen. Gerade behauptet er, daß ich getan hätte, was er getan haben mag. Er wollte mich schrecken, indem er, ich weiß nicht was, in den Brunnen warf; aber wollte Gott, er hätte sich wirklich hineingestürzt und wäre darin ertrunken. Wäre doch dann der Wein, den er zuviel getrunken, gehörig gewässert worden.«

Nun fingen alle Nachbarn, Männer und Frauen, an, auf Tofano zu schelten, ihm unrecht zu geben und ihn dessentwegen laut zu schmähen, was er gegen seine Frau vorbrachte. Kurz, so rasch stieg der Lärm und verbreitete sich das Gerücht von Nachbar zu Nachbar, daß es endlich zu den Verwandten der Frau gelangte. Diese eilten herbei und nahmen, nachdem sie die Sache von einem und dem andern Nachbarn vernommen hatten, den armen Tofano in die Mitte und prügelten ihn so herzhaft, daß ihm fast die Glieder zerbrachen. Dann traten sie ins Haus, nahmen die Sachen der Frau, führten sie mit sich hinweg und drohten Tofano noch Schlimmeres an.

Tofano sah nun wohl, daß er übel angekommen war, und erkannte, wohin seine Eifersucht ihn geführt. Mit Mühe nur gewann er, da er seine Frau von Herzen liebte, einige vermittelnde Freunde und brachte es endlich dahin, daß er in Frieden die Frau in sein Haus zurückbekam. Dieser gelobte er nun, nie wieder eifersüchtig zu sein, und gestattete ihr überdies, ganz ihrem Vergnügen nachzugehen, jedoch so vorsichtig, daß er es nicht gewahr würde. Und so verfuhr er nach dem Sprichwort: »Der dumme Bauersmann nimmt erst die Prügel und verträgt[543] sich dann.« Unter uns aber lebe die Liebe, und es sterbe der Krieg mit der ganzen Sippschaft!

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 539-544.
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