Alles lieben oder Eins lieben

All – Eins

[546] 11. Juni 1834 nach Karlsbad


Still folgt die Liebe deinen Schritten,

Denn alle Lust und alle Pracht,

Die dich ergötzt in Kunst und Sitten,

Hat sie ja selbst für dich erdacht.


Ich darf nicht rings umher mehr blicken

Der Farben Glut, der Formen Zier[546]

Der Lüfte Wehn, der Blumen Nicken

Ist all für dich, kömmt all von mir.


Es wird kein stolzes Schloß gebauet,

Es wird kein edles Bild geschnitzt,

Die Liebe hat es durchgeschauet,

Die Liebe hat hindurchgeblitzt.


Weil du in Vielem liebst zu leben

Hab Vieles ich dir herbestellt,

Als Gott der Liebe sich ergeben,

Da kamst du selbst mitsamt der Welt.


Da kam auch ich mit meiner Liebe

Und alle Kunst und aller Sinn,

Und daß ich wüßt', wo Alles bliebe

Trug ich es zu der Einen hin.


Du gehst ganz lustig durch spazieren

Und drehst das Hälschen in die Rund,

Ich habe Eins nur zu verlieren,

Mit dir geht Alles mir zu Grund.


Du suchest das in allen Dingen

Was ich in dir gefunden hab',

Du möchtest allen Liebe bringen,

Ich tret' der Lieben Alles ab.


Du suchst die Liebe rings entfaltet

Ich sehe sie in dich verhüllt,

Nichts hast du, was sich dir gestaltet,

Ich hab' dich nicht du süßes Bild.


Was du inmitten von vier Winden

Zu suchen hin und her dich drehst

Kann mir in vier Fischbeinchen schwinden,

Wenn du ein bißchen schneller gehst.[547]


Du möchtest in der Liebe wählen

Ich folge Arm Lind dir, weil ich muß.

Du möchtest die Gestirne zählen

Ich fand die Welt in einer Nuß.


Süß Lieb, das ich muß heiß verlangen,

Arm Lind, all, was du krank vermiss'st,

Wir Werdens einst in Uns umfangen

In dem, der Eins und Alles ist.


Mir brennet in dem kranken Herzen

In einem Flammenblumenstrauß.

Von unermeßner Art der Schmerzen

Die tiefgebeugte Seele aus.


Und du, durch die der Strauß erblühet,

Streckst wohl zu ihm die feine Hand

Scheust nicht die Glut, aus dir erglühet,

Scheust nicht dies Herz von dir entbrannt,


Und wenn die Feuerblumen blitzen

Von meiner Tränen heißem Tau

Zählst du mit kühlen Fingerspitzen

Die Blümchen auf des Traumes Au.


Ich hab' den Schmerzenstrauß gedichtet,

Der flammend mir im Herzen rast,

Und hab' in Flammen es vernichtet

Daß nicht die Glut dein Herz verglast.


Ich habe viel zu dir gesprochen

Auch letzte Worte bis zum Tod,

Und hab' mein Herz vor dir gebrochen,

Wie ich dir brechen darf dein Brot.


Ich leb' nicht mehr, lieg' unbegraben,

Mein Schatten fleht in heißer Buß',

Süß Lieb, soll mich mit Tränen laben,

An der schwarzlaub'gen Linde Fuß.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 546-548.
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Märchen / Ausgewählte Gedichte (Fischer Klassik)

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