Sechstens

Bischof Rusticus

[105] Zu Padua war groß Gedränge

Der andachtsvollen Christenmenge.

Man eilt zu Kanzeln und Altären,

Den frommen Antonio zu hören,

Der sich alldorten seiner Predigt

Mit wunderbarer Kraft entledigt.

Auch tät er oft, vom Geist getrieben,

Herrliche Zeichen und Wunder verüben.

Jedoch die Kinder dieser Welt,

Denen so etwas selten gefällt,

Murren und munkeln so allerlei

Von Teufelskünsten und Zauberei

Und verklagen den frommen Antonius

Beim guten Bischof Rusticus.
[105]

Bischof Rusticus

Der Bischof läßt den Bruder kommen:

»Ich hab' von deiner Kunst vernommen!

Allein, mein Freund, wie ist der Glaube?«


Bischof Rusticus

Flugs nimmt Antonio seine Haube

Und hängt sie, wie an einen Pfahl,

An einen warmen Sonnenstrahl.

Der Bischof sprach: »Bravo! – Allein!

Dies kann auch Teufelsblendwerk sein!«

Nun spielte da im Sand herum

Ein Findelknabe, taub und stumm,[106]

Und keiner hatte je erfahren,

Wer Vater oder Mutter waren. –

Antonius sprach: »Sag an, mein Kind,

Wer deine lieben Eltern sind!!«

O Wunder! Der bis diese Stund'

Nicht sprechen konnte, sprach jetzund:


Bischof Rusticus

»Der Bischof Rusticus, der ist...«

»Pis–s–s–s–s–s–t!!!«


Bischof Rusticus

Sprach der Bischof – »es ist schon recht!!

Antonius, du bist ein Gottesknecht!!«


Bischof Rusticus

[107] Seit dieser Zeit sah groß und klein

Antonius mit dem Heilgenschein.


Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 2, Hamburg 1959, S. 105-108.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der heilige Antonius von Padua.
Der heilige Antonius von Padua
Der heilige Antonius von Padua

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Camilla und Maria, zwei Schwestern, die unteschiedlicher kaum sein könnten; eine begnadete Violinistin und eine hemdsärmelige Gärtnerin. Als Alfred sich in Maria verliebt, weist diese ihn ab weil sie weiß, dass Camilla ihn liebt. Die Kunst und das bürgerliche Leben. Ein Gegensatz, der Stifter zeit seines Schaffens begleitet, künstlerisch wie lebensweltlich, und in dieser Allegorie erneuten Ausdruck findet.

114 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon