Ottar und Hilde

[262] Odhins Sohn war Ottar der Edle.

Weidlich wuchs er

Heran, der herrliche Held.

Als er erwachsen,

Als dem Flinken der Flaum

Bräunlichen Bartes

Locker und lieblich

Die Lippen umlockte,

Als den spitzigen

Spangenspaltenden Speer

Wuchtig er warf,

Erschien ihm Odhin,

Hielt an der Hand

Hilde, die Holde,

Die der Wahl waltende

Walküre.

Aus hohem Helm[262]

Floß der Freudigen

Lang das lichte Gelock,

Das goldig-gelbe;

Sieghaft und selig

Strahlte ihr,

Ganz goldig,

Gleich dem herrlichen Haare,

Das edle Auge.

Odhin aber

Legte dem Liebling

Der Holden Hand in die Hand:

»Die Schimmernde schützt dich

In Schrecken der Schlacht.

Nicht geschwungenes Schwert,

Nicht hauender Hammer

Fällt dich Fröhlichen,

So lange leuchtend

Die jauchzende Jungfrau

Schirmend den Schild

Ob dem Haupte dir hält,

Schwanenschwingig

Dich umschwebend.

Hüte dich, Held,

Daß jemals die Jungfrau

Dir Fechtendem fehle.«

Manchen Mond

Wechselnder Winter

Von Sieg zu Siege

Eilte Ottar der Edle

Unverwundet:

Speere sprangen

Und geschwungene Schwerte

Ihm ab von dem offenen Antlitz:[263]

Denn sacht, auf silbernen Sohlen,

Schwanenschwingig schwebte

Hoch zu Häupten ihm Hilde. –


Aber als wieder im Wechsel

Ein Jahr sich gejährt,

Mußte der Mutige

Mit arger Überzahl

Fechten der Feinde,

Einsam, allein, unbeschützt,

Denn er darbte

Der holden Hüterin:

Nicht mehr jauchzte die Jungfrau:

In Wehen wand sich das Weib.

Lodernder Liebe

Lechzend Verlangen

Hatte heimlich

Die herrlichen Herzen

Brennend verbunden.

Auf dem Lager lag

Stöhnend, sterbend die Stolze.

Ach, die Unsterblichkeit

War ihr gewichen

In der Umarmung

Des Menschenmannes;

Und während dem Weibe

Die Not schon nahte

Des traurigen Todes,

Brach durch die Brünne der Brust

Dem mutigen Manne

Die Spitze des Speers.

Er lag in seiner hohen Halle

Und neben ihm Hilde am Herd.[264]

Odhin aber

Senkte sinnend

Über den bleichen beiden

Das ernste Antlitz:

»Wehe! Ihr wolltet es so!

Als Walküre wählt' ich sie dir,

Aber zum Weibe wähltest sie du:

Und du, herrliche Hilde,

Statt der Unsterblichkeit: – Staub!«


Aber noch einmal

Öffneten beide die Augen,

Und in Wechselworten

Erwiderten sie Wunschvater:


»Und hätte ich wieder

Zu wählen die Wahl, –

Wieder wählte ich, o Wahlvater,

Mir die Wonn'ge zum Weib.«

»Ich mir den Mann zum Gemahl.

Denn weit sel'ger als dein Walhall

Weiß ich, was ich mir gewann

An lodernder Liebe

Göttlichem Glück!«


»Floh es auch flüchtig –«


»Einmal war es doch unser –«


»Und das ist ewig.«


Und da starben sie,

Stark und stolz.

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 262-265.
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