Vollmond

[60] 5

Grellgestürzt schrille Schluchten.

Tief in phosphorgrünen Schachten

Glühen stumm metallne Spiegel,

Weiß und lautlos festerstarrt.


Du liegst eingegossen blau

Vor mir in dem klaren Erz.


Und ich knie nieder,

Meine Augen beten:

Strahle deinen blauen Atem in mein Blut.
[60]

6

Blaue Schatten knien an den Ufern.

Lächeln in die Silberspiegel,

Ihre gelben Augen singen hell und dunkel.


Alle, Kinder dieser bleichen Insel.

Blaue Wesen, die der Mond geboren.

Und die Feuer ihrer Augen

Glühen hell die Sprache ihres Schweigens.


Aus den weißen Spiegeln blühen

Blaue Echo ihrer Schatten.


Jeder betet zu dem eignen Bilde.

Ihre goldnen Phosphoraugen

Küssen heiß sich selber im Metall,

Und die blauen Wesen schmelzen bleichend,

In das eigne blaue Spiegelbild.


Durch die grünen Einsamkeiten

Wallt der Klagelaut der Blidatulpen,

Und die elfenbeinbleichen Kelche

Gießen Schnee.


7

Hoch am schneeigen Schachtrand

Rauschen weiß die Schwanenbäume,

Und aus grünem Eis die Blüten

Schwingen mit kristallenen Flügeln

Auf und nieder.

Silbermatt ihre Wellensänge

Gleiten durch die erznen Spiegel,

Das Metall schwingt mit den Düften,

Und sie wiegen dich im Lächeln

Ätherblau auf ihrem Silber.


O, ich liebe dich mein Knabe,

Und mein Blut will mit dir bleichen,

Und in einer blauen Welle mit dir schwingen.
[61]

8

Grüner glühn die Phosphorklippen,

Und die erznen Seen spannen

Heißer, blanker ihre Spiegel.


Tief bin ich in dich geschmolzen,

Weich in einer blauen Flamme

Tönen wir im bleichen Silber.


Ringsum zucken aus dem Spiegel

Kalt die weißen Seedakelche.

Blendend bleichen ihre Düfte

Unseres Atems tiefste letzte rote Welle.


Wir erstarren schweigend glühend,

Weiß im weißen erznen Spiegel.


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 60-62.
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