Gespenstische Sühne

[21] Graf Richard, was jagst du und jagst durchs Feld,

als fliehst du vor deinem Gewissen?! –

Es war deine Pflicht, es war dein Recht!

dein Weib beim Knecht:

das haben sie büßen müssen!


Graf Richard, was fliehst du und fliehst durch die Nacht:

die Tote liegt still auf der Bahre! –

wie damals so still, wie damals so kalt,

als mit Gewalt

sie zogst zum Traualtare! – –


Dahin, dahin am Eichenhain!

herunter vom Feld! die Straße hinein!

zurück, zurück zum Schlosse! –

Wie schleichen die Nebel herüber vom Moor,

wie schaun aus dem Walde die Schatten hervor!

Dem Reiter wird wirr und dem Rosse.


Dahin, dahin mit hängendem Zaum!

vorüber, vorüber an Baum und Baum!

will die Burg denn noch immer nicht ragen? –

Noch Einmal küssen in heimlicher Stund'

die blasse Wunde, den weißen Mund!

Ich – hab' sie – aus Liebe erschlagen! – –


Was taucht hervor aus Dunstes Wogen,

was schimmert so sanft, so bleich?

was kommt so lockend einhergezogen,

was breitet die Arme so weich! –

Allmächtiger Vater, sie lebt! sie verzeiht!

nun bin ich erlöst, nun bin ich befreit!
[22]

Was schwebt zurück, was schwebt entgegen

vorbei an Stamm und Stamm?

was wallt und winkt mit leisem Bewegen

herunter vom sichern Damm! –

Halt stille doch, Liebchen! ich nehm' dich aufs Pferd!

ich hab' dich so lange, so heiß begehrt! – –


Ich will dich haben – heut wirst du Mein –

nicht länger vergebens dein Ehemann sein! –

Und glühenden Blicks er sich vorwärts bengt,

und glühenden Auges der Rappe keucht ...

Die Nebel quellen vom Moore.


Willst wieder entweichen –? so stirb, Geduld!

will länger nicht betteln um Deine Huld!

jetzt fasse ich dich! jetzt halt' ich die Braut – –

Braut – gurgelt's, verröchelt's im Schlamm, im Kraut ...

Die Nebel rollen am Moore.

Quelle:
Richard Dehmel: Erlösungen, Stuttgart 1891, S. 21-23.
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