Venus Nutrix

[217] Aber nicht wieder! nein, nie wieder!

Ja, du wolltest mich beglücken:

wie sie an dein Fleisch sich drücken,

diese kleinen nackten Glieder.

Aber mir diese Lust beschauen,

ist mir ein Grauen.


Zu tief sah ich unsrer zahmen Katze

in die mütterlichen Augen,

wie sie ließ die Jungen saugen

unter der steifen, scharfen Tatze;

und der jungen blinden Brut

schmeckte das alte Raubtier gut!
[217]

Decke die Brust zu, wenn die Lippen

deines Sohnes dich berühren;

laß ihn andre Wonnen spüren

als den Blick der Ahnen und der Sippen!

Nein, ich wollte dich nicht betrüben;

nur – nur anders laß uns lieben!


Bebt'ich doch selber, als ich ihn küßte,

und ich will die Wonnen der Ammen

nicht verdammen:

dunkel ist der Zweck der Lüste.

Aber die Mütter – nein, schweigen wir!

wehe, der Mensch ist ein Sängetier.

Quelle:
Richard Dehmel: Aber die Liebe. München 1893, S. 217-218.
Lizenz:
Kategorien: