Die beste Politik

[184] Von allem was zu Leid und Frommen

Bisher das Leben mir gebracht,

Ist manches unverhofft gekommen,

Und manches hatt' ich überdacht;

Doch seltsam! wo ich schlau und fein

Mich abgesorgt zu grauen Haaren,

Da bin ich meistens abgefahren,

Und Unverhofftes schlug mir ein.


Ein jeder kömmt doch gern zu Brode,

Doch blieben mir die Gönner kalt,

Tat ich gleich klein wie eine Lode

Gen einen mächt'gen Eichenwald;

Und nur der ärmliche Student,

Bei dem ich manche Nacht verwachte,

Als Mangel ihn aufs Lager brachte,

Der dachte mein als Präsident.
[184]

Den Frauen will man auch gefallen,

– Zumal sieht man nicht übel aus, –

In die Salons sah man mich wallen,

Verschmitzt hinein, verdutzt heraus;

Und nur die täglich recht und schlicht

Mich wandeln sah im eignen Hause,

Die trug in meine kleine Klause

Des Lebens süßestes Gedicht.


Auch Ruhm ist gar ein scharfer Köder,

Ich habe manchen Tag verschwitzt,

Verschnitzelt hab' ich manche Feder,

Und bin doch schmählich abgeblitzt;

Und nur als ich, entmutigt ganz,

Gedanken flattern ließ wie Flocken,

Da plötzlich fiel auf meine Locken

Ein junger frischer Lorbeerkranz.


So hab' aus allem ich gezogen

Das treue Fazit mir zuletzt,

Daß dem das Glück zumeist gewogen,

Der es am mindesten gehetzt;

Und daß, wo Wirken ein Geschick

Nach eigner Willkür kann bereiten,

Nur Offenheit zu allen Zeiten

Die allerbeste Politik.
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Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 184-186.
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