Am fünften Sonntage nach hl. drei Könige

[582] Ev.: Vom Samen, so unter die Dornen fiel.


In die Dornen ist dein Wort gefallen,

In die Dornen, die mein Herz zerrissen;

Du, mein Gott, nur du allein kannst wissen,

Wie sie schmerzlich sind vor andern allen;

In die Dornen meiner bittern Reue,

Die noch keine Tröstung will empfangen.

So verbarg ich es in finstrer Scheue,

Und so ist es trübe aufgegangen,


Und so wächst es auf in bittrer Wonne,

Und die Dornen lassen es gedeihen;

Ach, mein Boden ist zu hart, im Freien

Leckt den Tau vom Felsen ihm die Sonne.

Kann es gleich nur langsam sich entfalten,

Schirmen sie es treulich doch vor Stürmen

Und dem Hauch der Lust, dem todeskalten,

Und wenn sich des Zweifels Wolken türmen.
[582]

In die Dornen ist dein Wort gefallen,

Und sie werden blut'ge Rosen tragen;

Soll ich einst dir zu vertrauen wagen,

Darf ich nur in ihrem Kranze wallen.

Wenn er recht erstrahlt im Feuerglanze

Und das Haupt mir sengt mit tiefen Wunden,

Dann gedeiht die zarte Gottespflanze,

Muß an seinem Schmerzenstrahl gesunden.


In Entsagung schwinden muß mein Leben,

In Betrachtung meine Zeit ersterben;

So nur kann ich um das Höchste werben,

Meine Augen darf ich nicht erheben.

Ach, ich habe sie mißbraucht zu Sünden

Und verscherzt des Aufblicks reine Freude,

Dann nur kann ich noch den Himmel finden,

So ich ihn in Scham zu schauen meide.


Wenn ich blicke in die milden Mienen,

O, wie schmerzlich muß es mich betrüben,

Denen noch das teure Recht geblieben,

Ihrem Gott in Freudigkeit zu dienen!

Muß auch hier die trüben Augen lenken,

Muß erglühend sie zur Erde schlagen,

In ein reines Auge sie zu senken,

Kann ich nimmer sonder Frevel wagen.


Und wie tief neig' ich die Stirn, die trübe,

Wenn die Sünde rauscht an mir vorüber,

Meinen manche, daß mich Abscheu triebe,

Und gewinnen lieber mich und lieber,

Ist es oft nur mein vergangnes Leben,

Grauenhaft zum zweiten Mal geboren.

Ach, und oft empfind' ich gar mit Beben,

Wie der Finstre noch kein Spiel verloren!


Aber, was er auch für Tücke hege,

Kämpfen will ich um des Himmels Grenzen,[583]

Meine Augen sollen freudig glänzen,

Wenn ich mich in meine Dornen lege,

Daß die Welt nicht meinen Kampf darf rügen,

Oder gar mit eitelm Lob geleiten,

Wohl, ich kann durch Gottes Wunder siegen,

Aber nimmer mit zwei Feinden streiten.


Ob ein Tag mir steigen wird auf Erden,

Wo ich frei mich zu den Deinen zähle?

Wo kein Schwert mehr fährt durch meine Seele,

Wenn mir deine Hände sichtbar werden!

Herr, und soll der Tag mir nimmer scheinen,

Dürft' ich ihn in Ewigkeit nicht hoffen,

Dennoch muß ich meine Schulden weinen,

O, der Sünder hat sich selbst getroffen!


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 582-584.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristophanes

Lysistrate. (Lysistrata)

Lysistrate. (Lysistrata)

Nach zwanzig Jahren Krieg mit Sparta treten die Athenerinnen unter Frührung Lysistrates in den sexuellen Generalstreik, um ihre kriegswütigen Männer endlich zur Räson bringen. Als Lampito die Damen von Sparta zu ebensolcher Verweigerung bringen kann, geht der Plan schließlich auf.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon