Am sechsten Sonntage nach Ostern

[633] »Aber solches habe ich zu euch geredet, damit wenn die Stunde kömmt, ihr daran gedenket, daß ich es euch gesagt habe.«


Erwacht! der Zeitenseiger hat

Auf die Minute sich gestellt;

Dem rostigen Getriebe matt

Ein neues Rad ist zugesellt;

Die Feder steigt, der Hammer fällt.


Wie den Soldaten auf der Wacht

Die Ronde schreckt aus dumpfer Ruh,

So durch gewitterschwüle Nacht[633]

Ruft uns die Glockenstimme zu:

Wie nennst du dich, wer bist denn du?


Und mancher der im langen Traum

Den eignen Namen fast verschlief,

Stieß nun von sich den schnöden Flaum

Und hastig die Parole rief,

So ernst die Glocke sprach und tief.


Wer möchte sich in solcher Zeit

Von deinem Heere schließen aus?

Was Lenz und Sonne hat zerstreut,

Das sucht im Sturme wohl sein Haus,

Nur Vagabunde bleiben drauß.


Dem Kleinsten ward sein wichtig Teil,

Umsonst hatt' keiner seinen Stand.

Mag was da hoch, zu Kraft und Heil

Uns leuchten von der Zinne Rand;

Doch nur die Masse schützt das Land.


Ist es ein schwacher Posten auch,

Auf den mich deine Hand gestellt:

So ward mir doch des Wortes Hauch,

Das furchtlos wandelt durch die Welt,

Gleich ob es dunkelt oder hellt.


Tu nur ein jeder was er kann,

Daß hülfreich stehe Schaft an Schaft;

Der Niedre schließe treulich an,

Der Hohe zeige seine Kraft:

Dann weiß ich wohl wer Rettung schafft!
[634]

Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 633-635.
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