Am zweiten Sonntage nach Pfingsten

[640] Der eine sprach: »Ich habe ein Landhaus gekauft.« Der andere sprach: »Ich habe ein Weib genommen, deshalb kann ich nicht kommen.« – »Geh auf die Straßen, und führe die Armen und Schwachen, die Blinden und Lahmen herein!«


Ein Haus hab' ich gekauft, ein Weib hab' ich genommen,

Drum Herr kann ich nicht kommen.

Das Haus mein Erdenleib,

Des ich in Ruh' muß pflegen,[640]

Die Poesie das Weib,

Dem ich zu Füßen legen

Will meiner Muße Frommen

Zu süßem Zeitvertreib.


Gebrechlich ist mein Haus, bedarf gar sehr der Stützen,

Soll es mir ferner nützen.

So lieblich ist die Frau,

Sie zieht mich ohne Maßen

Zu ihrer Schönheit Schau.

Ach, ihr mag ich wohl lassen

Der lichten Stunden Blitzen,

Der Träume Dämmertau.


Was fühl' ich denn so heiß in meinem Busen quellen,

Als wollt' es ihn zerschellen?

Was flüstert an mein Ohr?

Mich dünkt es, eine Stimme

Dring' aus dem Bau hervor

Wie in verhaltnem Grimme,

Wie fernen Meeres Wellen,

Und spricht: o Tor! du Tor!


Kein Haus hast du gekauft, es ward dir nur verpfändet

Bis jener Faden endet,

Des Dauer keiner kennt,

Und keiner mag verlängen,

Die Spindel rollt und rennt.

Ach! jener Stunde Drängen

Hat keiner noch gewendet,

So tief die Angst ihn brennt!


Nicht lieblich ist die Frau, 's ist eine strenge Norne,

Erzittre ihrem Zorne;

Sie schlürft dein Leben auf.

Und muß es dann entrinnen,[641]

So tu den besten Kauf:

Wohl magst du dir gewinnen,

Was aller Leiden Dorne

Wiegt überschwenglich auf.


Drum sorge ferner nicht um deines Hauses Wände,

Des Eigentümers Hände

Sind schützend drauf gelegt.

Und wie ein Wuchrer handle,

Um was dein Herz bewegt;

Mit jener Frau verwandle

In Himmelshauch die Spende,

Der übern Abgrund trägt!


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 640-642.
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