Elfte Szene

[557] Die Vorigen. Herr Speth tritt keuchend und glührot herein, Ida mit ihm und setzt sich mit ihrer Stickerei an ihren frühern Platz, nachdem sie die Vorhänge völlig zurückgeschlagen.


SPETH nachdem er Seybold flüchtig gegrüßt, zu Sonderrath gewendet. Gottlob, daß Sie da sind! Und Herr Seybold auch? Schön, schön! Zu Sonderrath. Und Sie sind eilig? Ich hoffe, das wird doch nicht so arg sein.[557]

SONDERRATH. Ich bin schon seit einer halben Stunde hier, Herr Speth.

SPETH. Wirklich? das ist mir leid, das ist mir leid! ei ei! Nun, Sie haben mich auch hübsch warten lassen; setzen Sie sich! Er will einen Stuhl rücken und stolpert über die Ballen. Wer Henker hat denn hier so wunderlich aufgeräumt?

IDA kommt und räumt die Ballen weg. Fräulein Briesen. Sie zieht sich wieder in die Fensternische zurück.

SPETH. Recht so, Fräulein Briesen! Er hat die Stühle gerückt. Setzen wir uns!

SEYBOLD. Sie sind ja ganz außer Atem, Herr Speth?

SPETH. Ich bin so gelaufen, ich bin so gelaufen! meine Frau hat mir den Bedienten nachgeschickt. Apropos, Sie speisen doch bei mir?

SEYBOLD. Ich kann nicht, ich bin anderwärts versagt.

SONDERRATH. Ich auch nicht, ich muß sogleich fort.

SPETH. Nun, dann wollen wir es auf den Abend setzen.

SONDERRATH. Dann bin ich längst über die Berge.

SPETH. Was? Sie wollen ganz fort?

SONDERRATH. Mit dem Dampfboote.

SPETH. Unmöglich! das ist nicht möglich! wir haben ja noch Tausenderlei miteinander zu bereden.

SONDERRATH. Herr Speth, dann muß ich bitten, daß Sie keine Zeit verlieren; denn ich muß, auf Ehre, sogleich fort.

SPETH. Nun dann, wenn's nicht anders ist, zur Sache. Sie setzen sich, außer Seybold, der am Tische stehn bleibt und in den darauf liegenden Journalen blättert. Haben Sie nun das Manuskript bei sich?

SONDERRATH. Was meinen Sie?

SPETH. Ich meine, ob Sie das Manuskript mitgebracht haben?

SONDERRATH kleinlaut. Das zwar nicht –

SPETH faltet die Hände und läßt sie sinken. Um Gottes willen!

SONDERRATH schnell. Aber ein ganzes Paket Gedichte, von einem guten Freunde.[558]

SPETH entrüstet. Herr, was geht mich Ihr guter Freund an? ich will meine Reminiszenzen vom Rhein drucken lassen.

SONDERRATH erfreut. Ach, Sie haben sich selbst daran gemacht! Gottlob! da sinkt mir ein Stein vom Herzen!

SPETH. Herr, was fällt Ihnen ein? Bin ich ein Schriftsteller? Ihre Reminiszenzen will ich; die nenne ich die meinigen, weil sie längst mir gehören.

SONDERRATH. Herr Speth, Sie haben vollkommen recht; aber es nutzt Ihnen zu nichts, ich habe sie nun mal nicht vorrätig.

SPETH. Wo sind sie denn?

SONDERRATH stockend. In der Feder.

SPETH. Alle?

SONDERRATH. Alle.

SPETH. Nicht ein einziges Heft fertig?


Sonderrath schüttelt den Kopf.


SPETH. Nein, das ist zu arg! das ist ärger, wie ich's mir habe vorstellen können!

SONDERRATH. Herr Speth, ich will sagen, wie der Knecht im Evangelio: »Herr, habe Geduld mit mir, und ich will dir alles bezahlen.«

SPETH. Geduld? Ich habe Geduld gehabt, wie ein Mülleresel, zwei Jahre lang. Nehmen Sie's mir nicht übel, Herr Sonderrath, aber Sie handeln unverantwortlich an mir.


Sonderrath räuspert verlegen.


SPETH. Ich muß mich schämen wie ein begossener Hund, wenn mir einer der Praenumeranten auf der Straße begegnet; nicht einmal ins Kasino kann ich kommen, die Leute ziehen mich ordentlich auf mit Ihnen. Bin ich schuld? Bin ich es?

SONDERRATH. Sie sollen nächstens befriedigt werden, ganz gewiß.

SPETH. Jawohl: »Die Reben blühn und alles liebt und paart sich« –


Sonderrath lacht.


SPETH. In aller Welt, sind das Gründe und Redensarten[559] für einen gesetzten Mann, der einen Schnurrbart trägt wie ein Husar?


Sonderrath zupft lachend an seinem Schnurrbarte.


SPETH. Wahrhaftig, Herr Sonderrath, man kommt in Versuchung, mit Ihnen zu reden wie mit einem Kinde. Ich bin gewiß nicht der Mann, der jemanden gern etwas Unangenehmes sagt –

SONDERRATH gutmütig. Nein, der sind Sie nicht.

SPETH. Aber bedenken Sie, daß ich mein Brot sauer verdienen muß; ich bin zuweilen so herunter, daß ich vor Müdigkeit nicht einmal essen mag. Er wischt sich die Stirn.

SONDERRATH. Sie dauern mich wirklich.

SPETH. Nun, wenn ich Sie dauere, so bringen Sie mich wenigstens nicht um meine paar Groschen. Fünftausend Taler perdu, das ist kein Spaß.

SONDERRATH. Fünftausend Taler? Betreten. Unmöglich!

SPETH. Leider möglich genug! Ihm ein Papier reichend. Da haben Sie die Berechnung.


Sonderrath sieht gedankenlos hinein.


SPETH halb lachend. Ist es nicht betrübt, daß ein Mann wie Sie, ein gekröntes, belorbeertes Haupt, vor einem ordinären Buchhändler da sitzen muß wie Butter an der Sonne?


Sonderrath sieht zu Seybold hinüber.


SEYBOLD. Ja, hilf dir selbst! Du hast es reichlich verdient, ich würde dich noch ganz anders herunterreißen.

SONDERRATH. Herr Speth, ich habe es schon einmal gesagt, mea culpa! aber Sie müssen Nachsicht mit einer Poetennatur haben; die hat nun einmal etwas vom Irrwische an sich.

SPETH halb besänftigt. Mich dünkt, ich habe Nachsicht genug gehabt zwei Jahre lang.

SONDERRATH. Sehn Sie, jetzt nehme ich mir's fest vor, in diesem Augenblicke; Sie sollen ganz nächstens befriedigt werden.

SPETH. Wann?

SONDERRATH nachsinnend. In – Rasch. in vierzehn Tagen;[560] das heißt dann erscheint das erste Heft, und so die andern, in billigen Zwischenräumen.

SPETH. Es kommt darauf an, was Sie billige Zwischenräume nennen; jeden Monat wenigstens muß ein Heft erscheinen können.

SONDERRATH rasch. O, das geht auch ganz gut an; Gott, so einen Wisch schreibe ich in drei Tagen.

SPETH halb lachend. Desto schlimmer, daß Sie in zwei Jahren nicht haben damit fertig werden können.

SONDERRATH. Sie sollen sehn, Sie sollen sehn, ich werde meinen guten Ruf glänzend – Man hört hinter der Szene läuten. Was bedeutet das?

SPETH. Das Dampfboot fährt ab.

SONDERRATH hastig. Auf der Stelle?

SPETH. Nein, in zehn Minuten.

SONDERRATH. Gott im Himmel! Er greift nach seinem Hute. Addio – Seybold, komm nach Mülheim! Herr Speth, ich schreibe Ihnen.

IDA. Es ist ja gar nicht Ihr Dampfboot, es ist das andre, das Studentenboot.

SEYBOLD ihn am Arme haltend. So renne doch nicht gleich wieder wie ein Postpferd; deins fährt ja erst um sechs.

SONDERRATH. Ich weiß, ich weiß; aber ich muß doch fort; laß mich! Er sucht sich loszumachen.

SEYBOLD. Wohin denn?

SONDERRATH. O Jesus – laß mich! Hörst du?

SPETH. Sehe ich Sie noch?

SONDERRATH. Vielleicht – es kann wohl sein – Er hat sich losgemacht.

SPETH. Nein, versprechen Sie mir, daß ich Sie noch sehn soll.

SONDERRATH lachend. Wenn Sie selbst wollen; es wird ganz von Ihnen abhängen.

SPETH. Wieso?

SONDERRATH. Fragen Sie Seybold; der ist mein anderes Ich, der weiß alles, addio! Er geht hastig ab.[561]


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 557-562.
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