XCI. Brief

An Fanny

[37] Liebes Fannchen! –


Ich habe Dir heute einen komischen Auftritt zu beschreiben, der Dich gewis unterhalten muß! – Was thut doch das Vorurtheil nicht; besonders unter einer gewißen Art Menschen, die ohnehin einen teuflischen Eigensinn besizzen! – Vor einigen Wochen fühlte ich große Anlage zu meiner gewöhnlichen Schwermuth. Ich fiel darüber auf den Gedanken, mir mit unsern Kostgängerinnen einen nüzlichen Zeitvertreib zu verschaffen, um durch Zerstreuung dieser Krankheit vorzubeugen. – Du kennst nun meinen großen Hang zu Schauspielen. – Schon lange hätte ich darinnen gerne meine Anlage geprüft, aber bis izt hatte es sich noch nie schikken wollen. Zwo von unsern aufgeklärten jungen Damen, wovon die Oberin eine ist, billigten mein Vorhaben, und halfen mir in den Anstalten zur Aufführung eines Trauerspiels, – worinnen ich nebst einigen wenigen von diesen Kostgängerinnen zu spielen bestimmt waren. Ich unternahm da eine Sache, die mit nicht wenigen Schwierigkeiten verbunden war; denn ich mußte mich dazu entschließen, Mädchen für Mädchen abzurichten. Die wohlgebautesten wählte ich zu männlichen Rollen, und die übrigen zu Nebenrollen. Das war für mich eine schwere Unternehmung, denn keine von den Mädchen hatte im mindesten Kenntnis vom Schauspiel. Einige darunter haben ihre ganze Lebenszeit kein Schauspielhaus betretten. Natürliche Anlage, den Dichter bei Lesung zu verstehen, und ihn wieder richtig auf die Welt zu schaffen, war bei keinem von diesen Mädchen zu finden. –[37] Demungeachtet nahm ich mir vor, durch fleißigen Unterricht die Mädchen wenigstens mechanisch nur zu einer einzigen Rolle tauglich zu machen. Ich theilte unter ihnen die Rollen so gut als möglich nach ihren Temperamenten aus; und befahl, daß sie dieselben blos leise in Gedanken recht fest memoriren sollten. – Eine solche Arbeit war den jungen Mädchen sehr willkommen, und sie befolgten auch willig meine Vorschrift. – Nun nahm ich eine um die andere auf mein Zimmer, und lies sie ihre Rolle ohne die mindeste Deklamation blos eintönig herunterbeten. Meine Absicht war, zu entdekken, ob sie gut memorirt hätten, um daß sie nach der Hand bei Erlernung der Deklamation nicht irre würden. – Die Mädchen waren izt bald in ihren Rollen fest, aber plapperten sie auch erbärmlich eintönig herab. – Nach diesem ersten Schritt in der Kunst, unterstrich ich in ihren Rollen diejenigen Worte, wo der Nachdruk hingehörte. Dann mußten sie mir diese Unterscheidungswörter des Sinns, aufs Neue memoriren. Endlich schritt ich mit ihnen zur lauten Deklamation, und lies sie fast alle Stellen so lange wiederholen, bis sie den ächten Konversazionston in etwas trafen. – Das war für mich nun freilich eine unbeschreibliche Mühe, und doch glükte es mir, diese Mädchen in Zeit von einem Monat, ohne eigene Kenntnis, blos papageimäßig zu einer erträglichen Vollkommenheit zu bringen. – Ihren Gang, Bewegung und Mienenspiel, reinigte ich so viel möglich von lächerlicher Stellung, von Grimassen und falschen Gesten. Genug, die Kinder machten mir die äußerste Freude. – Ich lies sie öfters in ihren bestimmten Mannskleidern probieren, um durch die Uebung eine Gewohnheit zur Natur zu machen. Das vielfältige Wiederholen brachte sogar in diesen Mädchen Empfindung hervor, und schon fiengen sie an ihre Worte mit besserm Gefühl herzusagen. – Ihr Herz nahm an der Handlung einigen Theil, so wenig[38] auch ihr Kopf davon verstund. Jede Stelle des Stüks erklärte ich ihnen so richtig, als es seyn konnte, und hielt mit den Mädchen Vergleichungen aus dem menschlichen Leben, um ihnen den Sinn des Autors begreifen zu machen. Die wizzigsten davon fanden eine tausendfache Unterhaltung in dieser Beschäftigung, und die dümmern brachten mir, aller Mühe ungeachtet, eine Menge oratorischer Mistöne hervor, und ich hatte außerordentlich viel Arbeit, um wenigstens die wichtigsten Stellen vor falschem Sinn und Monotonie zu schüzzen. – Mein mühsames Werk war nun beinahe vollendet – und Niemand, außer den zwo Damen, wußte im Kloster ein Wörtchen davon. Bei dieser Verschwiegenheit bis zur Aufführung glaubte ich den Verdrüßlichkeiten desto leichter zu entgehen, die mir zum voraus ahndeten. Ich hatte ziemliche Unkosten gehabt, und aus meiner Börse im großen Gartensaal ein artiges Theater aufrichten lassen. Der Tag, der zur Aufführung des Stüks bestimmt war, rükte heran; die lezten Hauptproben wurden gehalten; die Noblesse der Stadt dazu eingeladen; kurz, alles war jezt richtig. – Als auf einmal der Satan zwei alte Fräulein mit Furien-Zorn zur Oberin führte, die darwider feierlich protestirten. – Man lies mich zur Oberin rufen, und ich mußte von den Weibern Dinge anhören, die mich bis zur Tollheit ärgerten! – »Was? – fiengen die Betschwestern an – was? – Sie wollen unser Kloster durch solches Teufelszeug entehren? – Sie wollen junge Mädchen in Beinkleider stekken, und ihnen mit uns Anfechtungen bereiten? – Sie wollen der ganzen Stadt Anlaß geben, über unsere Aufführung zu lästern? – Sie wollen Komödiantinnen aus unsern Mädchen ziehen, damit sie samt Ihnen der Hölle zufahren können? – O du keuscher, heiliger Aloysius! Steh den armen Kindern und uns bei, gegen die Versuchungen des Fleisches! – – Nein, Madame,[39] das geschieht gewis nicht! – Eher wollen wir unsern Schuzpatron bitten, daß er das ganze Haus samt der Teufelskapelle, worinn sie spielen wollen, abbrennen lasse. – Ei – das wäre schön! – fuhren die Weiber in einem Athem fort – ei, das wäre schön! daß Sie uns durch ihre Komödie den Weg zur Unkeuschheit zeigten! Wir haben ohnehin genug Feinde! und kaum betritt ein ehrwürdiger Pater unsre Schwelle, so schreit die Welt gleich, er sey unser Liebhaber; da wir doch noch so rein, wie Kinder im Mutterleibe sind.« – Zehenmal wollte ich diese hizzigen Schnattergänse unterbrechen, aber erst nach einer halben Stunde kam ich zum Wort. Meine Damen, fieng ich an: legen Sie meine Absicht nicht so schwarzgallicht aus; ich kann Sie versichern, sie ist gut. Ich will weder Andere, noch Sie dadurch verführen, wenn Sie nicht schon lange ohnehin zum Verführen reif waren. Die Beinkleider können für Sie, meine Damen, keine Versuchung seyn, wenn Sie noch unschuldig genug sind, ihr Herkommen nicht zu kennen! – Wer heißt Sie über die Vorzüge der Beinkleider nachdenken? – Wer nöthigt Sie, den Unterschied zu bemerken, ob sie einen weiblichen oder männlichen Körper bedekken? – Ihre Tugend muß sehr schwach seyn, wenn der blose Anblik von Beinkleidern Sie wanken macht. Lernen Sie erst Ihren Gedanken gebieten, wenn Sie den Willen in Ihrer Gewalt haben wollen, sonst gebe ich für ihre Enthaltsamkeit nicht einen Heller, die beim blosen Beinkleideranschauen schon lüstern wird. Aber sehen Sie, meine Damen, ehe Sie die Beinkleider fliehen, müßen Sie zuerst dem Männerbesuch entsagen, denn Versuchungen von der Art sind weit gefährlicher, als die Beinkleider an Mädchenkörpern. »O, du heiliger Antonius von Padua! –« wollte mich jezt eine davon, vor Galle schäumend, unterbrechen. – Erlauben Sie, Madame! – versezte ich kalt –[40] daß ich ihre Vorwürfe vollends beantworte! – Glauben Sie nicht, daß vernünftige Leute in der Stadt über die Aufführung eines moralischen Stüks lästern werden! Diese Beschäftigung gehört ja zur Erziehung, und bildet in den Zöglingen Herz, Kopf und Verstand. Auch wird keine davon so leicht eine öffentliche Schauspielerin werden. – Und, gesezt denn auch! so wird sie alsdann blos ihre Aufführung, nicht aber ihr Stand zur Hölle liefern. – Wenigstens geräth eine wohlgesittete Schauspielerin nicht so geschwind, wie Sie, in Versuchung über unschuldige Beinkleider. – »Aber ums Himmelswillen! – schrie die eine – so hören Sie doch einmal auf diesen sündlichen Namen zu wiederhoholen! – Wahrhaftig, Sie machen mich ganz weich zum weinen! –« Doch nicht aus Schamhaftigkeit, Madame? – Aber nun genug, meine Damen! – Ich habe die Erlaubnis der Oberin – und werde von meinem Vorhaben nicht abstehen, Sie mögen meinetwegen mit Bigottenwut das Kloster bestürmen, es gilt mir gleich viel! – Jezt brannte das Feuer aufs Neue über mich los! – »So fahren Sie denn hin, verstokte Sünderin, ins.... Gott verzeihe mir! – bald hätte ich geflucht! – Aber daß Sie es nur wissen, schrieen die Weiber zusammen – daß Sie es nur wissen, unsere Oberin hat nicht Macht, so was zu erlauben! – Und kurz und gut, wir wollen gewis Mittel finden, diese Kezzerei zu hintertreiben! – Gott bewahre uns! – Unser Gotteshaus soll nicht so angefochten werden von einer Freigeistin! – Nein, das soll es nicht! –« Und so rasten die Furien zur Thüre hinaus, und schlugen sie hinter sich zu, daß alle Wände zitterten. – Der armen Oberin wurde izt ein Bischen bange; – sie lief hinter ihnen drein, um sie zu besänftigen; – kam aber bald wieder zurük, um mir einen Vorschlag zu machen, der mich beinahe vor Lachen erstikt hätte. –[41]

So weit treibt es das Vorurtheil! – Die Weiber ließen mir durch die Oberin den Vorschlag machen – ich sollte den Mädchen wenigstens Schürzen vor die Beinkleider hängen; dann sollt ich ihrentwegen das Stük aufführen – sie wollten schon den Himmel bitten, daß der Teufel nicht sein Spiel dabei triebe. – »Madame! die Fräuleins sind neidisch, sie beneiden sogar Andere um diesen Anblik. – Nein, das kann ich unmöglich eingehen, liebe Frau Oberin; ich würde mich und das Trauerspiel lächerlich machen! – Für heute schlafen Sie nur ruhig, morgen ein Mehreres von ihrer ergebensten Dienerin!« – Und so verlies ich sie. – – Du sollst nächstens den Ausgang der Geschichte erfahren. – Das verspricht Dir

Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 37-42.
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