14. Anbindebrief

[121] Was uns die Gottesfurcht und greiser Brauch befiehlt, das nehmet von mir an, ihr Spiegel aller Frauen,

die nicht auf Schönheit mehr als auf die Tugend schauen,

der Weiber besten Schmuck! Worauf diß Binden zielt,

ist nichts als Ehrlichkeit. Wem Redlichkeit beliebt,[121]

ist bösen Stücken feind. Was euch und mir gebühret,

das wisset ihr und ich. Und daß ihr denn verspüret,

daß ich des auch bin froh, was euch der Himmel giebt,

so nehmet, werte Frau, von der euch guten Hand

diß, obwol schlechte, hin! Der Gaben leichte Schalen

wiegt auf mein schwerer Wundsch: daß, weil der Sonnen Strahlen

erwärmen diese Welt, euch treff' kein Übelstand!


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 121-122.
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