39. Auf eines Oheims (O. Brüggeman) Namenstag, unter dem Namen seines Neffen (Johan Müller)

[155] 1635 November 4.


Gleich wie zur Zeit des Herbsts, wenn starker Regen fällt,

der Bäche, Ström' und See mit seiner Flut aufschwellt,[155]

ein kleiner schwacher Fluß ganz plötzlich überschossen

und mit der fremden Flut wird häufig übergossen,

weiß seine Ufer nicht, der reine Lauf verdirbt,

das Trübe macht ihn krank, sein klares Wasser stirbt:

so, Freund, so geht es auch itzt meiner Hippokrenen,

der ob zwar kleinen Bach, doch lauteren und schönen,

die vor so helle floß. Die Flut der Traurigkeit

hat sie ganz aufgeschwemmt nun eine lange Zeit.

Ich solte billich zwar für andern mich erfreuen

von wegen eurer Zier, die heute sich vom Neuen

bei uns hat eingestellt, indem das schöne Licht,

das euch den Namen giebt, euch an zu binden spricht.

Diß solt' ich billich tun und mit gelehrten Grüßen

euch eure liebe Hand, Herr Oheimb, heute küssen,

und nicht ein schlechtes Band euch legen nur hierein.

Es solt' ein edles Lied mein Angebinde sein,

das schmeckte nach der Kunst. Was soll ich aber stellen?

Mein Sinn ist ungestüm' und machet große Wellen,

vom Trauren auf gereitzt, vom Trauren, das selbst ihr,

dieweil ihr noch nicht kommt, verursacht habt in mir.

Wie lange seid ihr doch? So nehmt nun diß immittels

auf euren Namenstag, das keines großen Tittels

des Lobes würdig ist! Kommt balde glücklich an!

So solt ihr sehn, ob ich nichts bessers dichten kan.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 155-156.
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