5. Auf des 8. Psalms Melodei

[238] Wilst du erst itzt, o Seele, dich beschweren,

daß deinen Leib die Erde soll verzehren?

Befällt dich erst die Furcht des Todes itzt,

da er erblaßt den Todesschweiß schon schwitzt?


Sein Ende war ihm da schon auserkoren,

eh' als ihm noch sein Anfang war geboren;

das war der Bund: du soltest wieder fort,

so balde dir dein Gott rief zu ein Wort.


Er hat ein Ziel gestecket allen Sachen,

er wird in dem ihm nichts Besonders machen;

spricht er, so muß die Welt auch untergehn:

und er vermeint ihm ewig zu bestehn?


Wie kanst du dir, was unverweslich, hoffen?

Dein schwacher Leib steht allen Toden offen:

tuts einer nicht, so stehn hier zehen noch,

die stark sind satt zu stoßen ihn ins Loch.


Schmerzt dieses dich, daß er so viel ertragen,

daß er von nichts als Leide weiß zu sagen,

so kehr in dich und frag dich selbst um Rat,

ob sein Gericht' in dem denn Unrecht hat!
[238]

Schau Alles an, worauf ein Herze schauet,

das mehr auf Schein als wahre Schönheit trauet,

Kunst, Ehre, Lust, Vermögen und fortan:

ist alles diß auch mehr als nur ein Wahn?


Das solte dich was Höhers unterweisen?

So überhoch war solches nicht zu preisen,

daß leichter Wind sich scheuet des Gewichts,

und selbst sich heißt noch weniger als nichts.


Ich bin gewiß, daß meine Seele lebet,

wenn mir mehr nichts an diesem Leibe webet;

kein Geist verwest, als den der Himmel gab;

sein Überzug, der Leib, der muß ins Grab.


Auf diß sei froh, daß, da du warst verfluchet,

dein Heiland dir den Segen hat gesuchet,

daß, da du schon wie warst ein Hellenbrand,

der Himmel dir durch Gott war zuerkant!


Ie mehr du hier vor Schmerzen must verbeißen,

ie mehr du dort ein Freudenkind wirst heißen;

weiß dir die Welt nichts anzutun als Leid,

Gott hat Lust gnung für dich in jener Zeit.


Hab alle Welt, hab alle Macht zu Feinde,

es schadet nichts, hastu nur ihn zum Freunde;

es wird dein Fall dich dennoch sehen stehn,

wenn er durch sich wird einst zu Grunde gehn.


Trit nur hervor und beichte deine Schulden!

Ich weiß gewiß, er wird sich noch gedulden,

wird gnädig sein, als der nicht anders kan;

erkühne dich und sprich ihn nur drum an!


Laß, Herze, nun sich deinen Unmut stillen

und richte dich nach deines Gottes Willen!

Halt aus und sprich: Du bist ja doch mein Gott,

und schlügst du mich mit tausent Toden tot.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 238-239.
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