3. Auf Herrn Henrich Scherls mit Jungfrau Annen Sophien Grünewalds Hochzeit

[290] Freie, was vor nicht gefreit,

was vor hat gefreiet, freie!

Itzund sagt die neue Zeit,

daß man sich nun auch verneue.

Billich, daß die kleine Welt

sich nach Art der großen hält.
[290]

Zwar es kan sich wol so gut

ein Mal wie das ander' lieben;

wenn es aber Alles tut,

soll es denn der Mensch verschieben,

der zu der vergünten Tat

gleiches Recht und Anspruch hat?


Neulich war die Erde Braut.

Itzund liegt sie in den Wochen.

Laub und Blumen, Saat und Kraut

haben die Geburt gebrochen,

und die reiche Fruchtbarkeit

wird noch täglich ausgestreut.


Freie, was sich nehmen kan!

Junge Leute sollen lieben;

alte geht es gleichsfals an,

die es ja so sehnlich üben.

Wer es hindert und verbeut,

der tut wider Billigkeit.


Unsre junge Manschaft kriegt,

kömt um Jugend, Leib und Leben.

Wie manch schönes Bild erliegt,

seit wir in dem Jammer schweben,

der uns halb hat umgebracht

und noch täglich dünner macht!


Amor fleugt durch freie Luft

mit der Mutter offnem Schreiben,

ruft und schreiet, schreit und ruft,

daß man nicht soll einsam bleiben.

Wer mir, spricht er, itzt ist Feind,

mit dem ist kein Gott nicht Freund.


O wie wol vermählt ihr euch,

ihr zwei unbefleckten Münde!

Das erfreute Sternenreich

unterschreibt die beiden Bünde.

Hymen, den es abgesandt,

schlägt durch die gepaarte Hand.


Seid nun froh und braucht der Gunst,

die der Himmel euch vorstattet,[291]

Teilt die fruchtgefüllte Brunst,

die ihr oft im Wundsche hattet!

Was inkünftig folget drauf,

das mengt schon der Sternen Lauf.


Mich bedünkt, als seh' ich schon,

was der nächste Morgen giebet,

wie der angenäme Hohn,

der mit Fröligkeit betrübet

und folgt auf die erste Nacht,

unsre Braut halb zornig macht.


Die Verächterin der Zucht

überfärbt die Milch der Wangen.

Seht, seht, wie sie Ausflucht sucht,

die sie doch nicht will erlangen!

Sie verträgt mit halbem Glimpf

ihrer Freunde süßen Schimpf.


Memnons Mutter, Tithons Frau

kömt so schamrot auch geschlichen,

wenn das Kind der Nacht, der Tau

ihr den Purpurmund bestrichen,

weil sie meint, die muntre Welt

wisse, was sie heimlich hält.


Schöne, schämt euch nicht so gar,

euer Blumwerk abzustatten

und das goldgefärbte Haar

mit dem Netze zu umschatten,

in dem Amor, der es stellt,

die zu kühnen Jungfern fällt!


Wald und Wild ist sie, die Braut.

Sie weist den noch fremden Jäger

auf die Spur, der er sich traut.

Sie schlägt auf ihr grünes Läger,

daß er für den heißen Tag

Rast und Schatten nehmen mag.


Jaget wol! Wir warten drauf,

was ihr werdet fangen balde.

Wahr ists, Wild hält sich nicht auf

in so einem zahmen Walde.[292]

Nun wir warten, wie gesagt,

bis ihr wol habt ausgejagt.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 290-293.
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