Der junge Drescher

[109] Dem Drescher, der im weichen Gras

Vor seinem Topf mit Milch und schwarzem Brote saß,

Dem wollte seine Milch nicht schmecken.

Er fing verdrießlich an, sich in das Gras zu strecken,

Dacht' ängstlich seinem Schicksal nach

Und dehnte sich dreimal und sprach:

»Du bist ein schlechter Kerl, du hast kein eignes Dach

Und mußt dich Tag vor Tag mit deinem Flegel plagen!

Du tätst ja gern mit deinem Schatze schön;

Allein, du Narr, mußt in der Scheune stehn

Und kannst nach langen vierzehn Tagen

Kaum einmal in die Schenke gehn

Und einen Krug mit Bier und deine Mieke sehn.

Du bist noch jung und kannst hübsch lesen und hübsch schreiben

Und wolltest stets ein Drescher bleiben?

Des Schulzens Tochter ist dir gut,

Ist reich und kann sich hübsch gebärden:

So nimm sie doch. Du kannst, mein Blut!

Wohl mit der Zeit noch Schulze werden:

Alsdann ißt du dein Stücke Fleisch in Ruh'

Und trinkst dein gutes Bier dazu

Und hast gleich nach dem Pfarr die Ehre –

O! wenn ich doch schon Schulze wäre!«


Indem Hans noch so sprach, kam seine Schöne her.

Sie tat, als käme sie nur so von ungefähr;

Allein sie kam mit Fleiß, weil sie ihn sprechen wollte

Und er verwegen sein und sie recht herzen sollte;

Denn Mädchen, wenn sie gleich das Dorf erzogen hat,

Sind wie die Mädchen in der Stadt.


Hans zieht die Schöne sanft zu sich ins Grüne nieder,

Lobt ihren neuen Latz, schielt, öfters auf ihr Mieder,

Fast wie ein junger Herr; nur mit dem Unterscheid,

Er hatte mehr Schamhaftigkeit.

Kurz, er fing an, sie recht verliebt zu küssen,

Bat um ihr Herz und trug ihr Herz davon

Und ward, wie viele noch auf diesem Dorfe wissen,[109]

Des reichen Schulzen Schwiegersohn.

Kaum hatt' er sie: so ward der Alte schon

Durch schnellen Tod der Welt und seinem Dorf entrissen.

Wen wird man nun Herr Schulze grüßen?

Wen anders als den Schwiegersohn?


Er eilt ins Amt, kömmt bald und freudig wieder

Und wirft sich auf die Bank als Schulz' im Dorfe nieder.


So wie ein durch den Fleiß vollendeter Student

Nach einem glücklichen Examen

Sich selbst vor trunkner Lust nicht kennt,

Wenn ihn die Magd in seiner Schöne Namen

Nach einem tiefen Kompliment

Das erste Mal Herr Doktor nennt:

So wußt' auch Hans vor großer Freude

Nicht, wo er Händ' und Füße ließ,

Als ihn Schulmeisters Adelheide

Das erste Mal Herr Schulze hieß.


Wie glücklich pries er sich in seiner Ehrenstelle!

Er aß sein Fleisch und that den Gästen oft Bescheid.

Allein es kamen mit der Zeit

Auch viel unangenehme Fälle:

Denn welches Amt ist wohl davon befreit?

Nach einer nicht gar langen Zeit

Warf sich Herr Hans verdrießlich auf die Stelle,

Auf der er sich sein Glück erfreit

Und oft gewünscht: Wenn ich doch Schulze wäre!

»Ich«, fing er zu sich selber an,

»Ich habe Haus und Hof und Ehre

Und bin mit alledem doch ein geplagter Mann.

Bald soll ich von der Bauern Leben

Im Amte Red' und Antwort geben;

Da fährt mich denn der Amtmann an

Und heißt mich einen dummen Mann.

Bald quälen mich die teuflischen Soldaten

Und fluchen mir die Ohren voll.

Bald weiß ich mir bei den Mandaten,

Bald in Quatembern nicht zu raten,[110]

Die ich dem Landknecht schaffen soll.

Die Bauern brummen, wenn ich strafe;

Und straf' ich nicht, so lachen sie mich aus.

Sonst störte mich kein Mensch im Schlafe,

Itzt pocht mich jeder Narr heraus,

Und wenn es niemand thut, so hunzt die Frau mich aus.

O wäre mir's nur keine Schande!

Ich griffe nach dem ersten Stande

Und stürb' als Drescher auf dem Lande.«


Wer weiß, ob mancher Große nicht

Im Herzen wie der Schulze spricht?

Wer weiß, wie viele sonst zu Fuße ruhig waren,

Die itzund mißvergnügt in stolzen Kutschen fahren?

Wer weiß, ob manches Herz nicht viel zufriedner schlug,

Eh' es der Fürsten Gunst an einem Bande trug?

O lernt, ihr unzufriednen Kleinen,

Daß ihr die Ruh' nicht durch den Stand gewinnt!

Lernt doch, daß die am mindsten glücklich sind,

Die euch am meisten glücklich scheinen!

Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 109-111.
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