Liebes Kind, wenn ich bei mir bedenke

[357] Auf den Tod des kleinen Friedrich Ludwig Zarlang, Sohn des Berliner Bürgermeisters Z. (1660)


1.

Liebes Kind, wenn ich bei mir

Deines schönen Leibes Zier

Und der Seelen Schmuck bedenke,

Weiß es Gott, wie ich mich kränke.


2.

Kein Smaragd mag je so schön

In dem feinen Golde stehn,

Keine Rose mag im Lenzen

Dir gleich, schöne Blume, glänzen.


3.

Dein Gebärde, dein Gesicht

Und der beiden Augen Licht

War in Tugend ganz verhüllet

Und mit guter Zucht erfüllet.


4.

Deine Liebe, deine Gunst

Ging und hing nach lauter Kunst;

Viel zu lernen, viel zu wissen,

War dein edler Geist geflissen.


5.

Auch war hier ein guter Grund,

Da das ganze Werk auf stund,

Nämlich Gott und sein Wort hören

Und die heilge Bibel ehren.


6.

Wollte, wollte Gott, daß nur

Deines Lebens schwache Schnur

Etwas noch hier auf der Erden

Hätten müssen länger werden.
[358]

7.

O wie manche große Freud,

O wie manch Ergötzlichkeit

Würden wir von deinen Gaben

Noch zuletzt genossen haben.


8.

Nun, mich jammerts; aber du,

Liebes Kind, schweigst still dazu,

Wohnst in Gottes Stadt und Mauern

Kehrst dich nicht an unser Trauern.


9.

Deines Wesens hoher Stand

Ist auch nun also bewandt,

Daß, wers gut will mit dir meinen,

Dich nicht dürfe mehr beweinen.


10.

Du bist ungleich besser dran,

Als die Welt hier sinnen kann;

Du hast mehr als wir dir gönnen,

Mehr auch, als wir wünschen können.


11.

Es ist an dir ganz und gar,

Was hier unvollkommen war;

Was du hier hast angefangen,

Hast du dort vollauf empfangen.


12.

Deine Seel hat Gottes Reich,

Und du bist den Engeln gleich:

Alle Himmel hörst du singen

Und du gehst in vollen Springen.


13.

Nun so lebe, wie du lebest!

Schweb in Freuden, wie du schwebest!

Balde, balde wirds geschehen,

Daß du uns, wir dich dort sehen.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 357-359.
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