Das IV Hauptstück.
Von den orthographischen Unterscheidungszeichen.

[138] 1 §.


Die ältesten Erfinder der Schrift hatten nur einerley Art der Schrift ersonnen; und sie schrieben ganze Zeilen in einem Stücke fort, so, daß man die einzelnen Wörter nicht einmal von einander unterscheiden konnte. Auch am Ende der Zeilen war es ihnen gleichviel, mit welchem Buchstabe eines Wortes sie aufhöreten: wie man solches auch noch im ersten Jahrhunderte nach der erfundenen Buchdruckerkunst, in gedruckten Büchern wahrnimmt. Die Griechen blieben eine lange Weile bey dieser alten Art zu schreiben. Dieses verursachete nun im Lesen eine große Schwierigkeit. Man mußte schon sehr gelehrt seyn, wenn man ganze Blätter solcher Schriften ohne Anstoß fortlesen wollte1: weil oft gewisse Syllben und Buchstaben, sowohl zum vorhergehenden, als folgenden Worte, geschlagen werden konnten; woraus aber mehrentheils ein sehr verschiedener Verstand erwuchs.[138]

2 §. Als die Römer dieses wahrnahmen, huben sie an, zwischen alle Wörter einen Punct zu machen; und sich dadurch das Lesen sehr zu erleichtern2. Allein, mit der Zeit sah man, daß es so vieler Puncte nicht einmal bedörfte: indem man nur zwischen jedem Worte den Raum eines Buchstabs leer lassen dorfte; den Punct aber zur Trennung ganzer Aussprüche, Sätze, oder Perioden brauchen konnte. In den barbarischen Zeiten entstund allmählich eine Art von Buchstaben, die von den alten griechischen und lateinischen großen Buchstaben sehr abgieng; und woraus, durch die Mönchschrift, endlich auch unsere heutige kleinere, sowohl die lateinische, als deutsche Schrift, ihren Ursprung nahm. Auch dieses hat allmählich zu mehrerer Deutlichkeit, in Unterscheidung der Wörter, Anlaß gegeben.[139]

3 §. Man hat nämlich, um der Zierde halber, schon in alten Zeiten, den Anfang jeder Schrift, mit einem so genannten großen Buchstabe gemachet; und dadurch der ersten Zeile eines jeden Buches ein Ansehen zu machen gesuchet. Man gieng hernach weiter, und gab auch jedem neuen Capitel, jedem neuen Absatze, und endlich jeder neuen Periode, eben dergleichen Zierrath3. Endlich gaben die Poeten, die Würde ihrer Arbeiten anzuzeigen, die weit mühsamer, als die prosaischen Schriften waren, jeder Zeile ihrer Gedichte, oder jedem Verse, einen größern und zierlichern Anfangsbuchstab. Und da dieses alles nichts unbilliges ist, sondern zur Schönheit einer Schrift, und zur Deutlichkeit im Lesen etwas beyträgt: so sey


die XVII Regel:


Man setze im Anfange jeder Periode, und in Gedichten vor jedem Verse, einen so genannten großen Buchstab4.[140]


4 §. Doch dabey blieb es nicht. Man wollte allmählich auch die Namen Gottes, der großen und berühmten Leute, der Länder und Städte, und endlich aller Menschen ohne Unterschied, durch dergleichen Anfangsbuchstaben, von andern Wörtern absondern, daß sie destomehr in die Augen fallen sollten. Und da dieses im Lesen gute Dienste that: so fuhr man fort, und gab auch gewissen merkwürdigen Hauptwörtern, worauf viel ankam, diesen Vorzug. Und dieses thaten fast alle europäische Völker, durch eine stillschweigende Übereinstimmung, zugleich; schon ehe die Buchdruckerey erfunden ward5. Nach der Zeit ist man anderwärts zwar dabey geblieben: wir Deutschen aber sind noch weiter gegangen, und haben wegen der, bey der letzten Art der Wörter vorkommenden vielen Unrichtigkeiten, worein sich viele nicht finden können, alle Hauptwörter, davor man ein, eine, ein, oder der, die, das, setzen kann, mit großen Buchstaben zu schreiben angefangen.[141]

5 §. Nun haben zwar theils einige vormalige Sprachlehrer, theils einige Neuere, sich durch die Schwierigkeit dieser Regel bewegen lassen, alle solche große Buchstaben wiederum abzuschaffen, und lauter kleine zu schreiben6. Dazu sind einige geizige Buchhändler gekommen, die durch Ersparung aller großen Buchstaben, die Zahl der Bogen eines Buches, und folglich das Papier und die Druckerkosten zu vermindern gesuchet haben. Allein, diese Ursachen, eine so wohl hergebrachte Gewohnheit abzuschaffen, wodurch unsere Sprache einen so merklichen Vorzug der Grundrichtigkeit vor andern erhält, sind nicht zulänglich: zumal da auch die Franzosen itzo schon angefangen, dieses von uns nachzuahmen7. Daher setzen wir


[142] die XVIII Regel:


Man schreibe nicht nur alle eigene Namen, sondern auch alle selbständige Nennwörter, mit großen Anfangsbuchstaben.


6 §. Nächst diesem trägt zur Deutlichkeit im Bücherlesen nichts mehr bey, als wenn die Sätze oder Perioden wohl von einander unterschieden sind. Dieses geschieht durch einen Punct; auf welchen sodann ein großer Buchstab folget, der die neue Periode anhebt. Nun ist es aber nicht nur Unstudirten, sondern auch wohl manchem Halbgelehrten, schwer zu wissen, wo er den Punct hinsetzen soll. Zu dem Ende geben wir die, aus der Erklärung eines Satzes herfließende,


XIX Regel:


Wo eine kurze Rede, oder ein Ausspruch, den man von einer Sache thut, ein Ende hat; das folgende aber ganz von etwas anderm redet, und nicht genau mit dem vorigen zusammenhängt: da machet man einen Schlußpunct8.


Z.E. Im Anfange schuff Gott Himmel und Erden. Und die Erde war wüste und leer; und es war finster auf der Tiefe: und der Geist Gottes schwebete auf dem Wasser.[143]

7 §. Wie man aus dem letzten Exempel sieht, so kommen bisweilen Perioden vor, die aus kleinern Sätzen zusammengesetzet sind; aber so zusammenhängen, daß man sie nicht ganz von einander trennen kann. Diese scheidet man nun durch zween übereinandergesetzte Puncte (:), die man einen Doppelpunct, oder ein Kolon nennet: wenn das folgende Glied ein neu Subject, und ein neu Prädicat hat. So war oben der Geist Gottes, ganz was anders, als vorne die Erde, nebst dem wüste und leer seyn. Man merke also


die XX Regel:


Wenn in einer Periode zween besondere Aus sprüche, von ganz verschiedenen Dingen, verbunden werden: so setze man zwischen beyde einen Doppelpunct.


8 §. Doch wird der Doppelpunct auch noch bey anderer Gelegenheit gebrauchet: wenn man nämlich die Worte eines andern anführet, und dieselben von der vorhergehenden und folgenden Rede unterscheiden will. Z.E. Und Gott sprach: Es werde licht: und es ward licht. Es sey also


die XXI Regel:


Wenn man fremde Reden oder Worte anführet; so setze man vor, und nach denselben einen Doppelpunct.[144]


Doch was dieses letzte betrifft, so leidet es eine Ausnahme, wenn nämlich die fremden Worte weitläuftig sind; und das darauf folgende eine neue Periode machet, vor welcher ein Punct stehen muß. Z.E. Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern; und die sey ein Unterschied zwischen den Wassern. Da machte Gott die Feste etc.9.

9 §. Man sieht also leicht, daß alle zusammengesetzte Perioden, die aus zweenen Theilen, oder zwoen Hälften bestehen, in der Mitte einen Doppelpunct bekommen werden. Die meisten derselben fangen sich mit Obwohl, Gleichwie, Nachdem, Alldieweil, Dieweil, oder Weil, Wann, Seitdem, u.d.gl. an; bekommen also, nach Endigung des ersten Gliedes, in der Mitte: gleichwohl, dessen ungeachtet, dennoch, oder doch, daher, also, als, oder so; und vor diesen steht allemal der Doppelpunct. Doch[145] dörfen diese letztern Wörter eher keinen großen Buchstab bekommen, als wenn man fremde Worte anführet.Und ob ich gleich selbst vormals durch einen ziemlichen Sprachenkenner10 verleitet worden, solches eine Zeitlang zu thun: so habe ich doch den Ungrund davon nach der Zeit eingesehen.

10 §. In neuern Zeiten hat man noch eine kleinere Art der Unterscheidungszeichen ersonnen, die man das Semikolon nennet, und mit einem punctirten Strichlein (;) schreibt. Dieses Zeichen dienet, geringere Abtheilungen der Rede, oder der Sätze zu bemerken, als wobey der Doppelpunct gesetzet wird. Meines Erachtens ist also


die XXII Regel:


Man setze den Strichpunct da, wo entweder ein neu Prädicat zu demselben Subjecte; oder ein neu Subject zu demselben Prädicate, gesetzet wird.


Z.E. Und Gott nennete das Trockene, Erde; und die Sammlung der Wasser nennete er Meer. Imgleichen: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das sich besame; und fruchtbare Bäume, da ein jeglicher, nach seiner Art, Frucht trage; und seinen eigenen Samen bey sich selbst habe, auf Erden11.[146]

11 §. Doch auch dieses langet noch nicht völlig zu. Daher sey


die XXIII Regel:


Die kleinsten Unterschiede gewisser Wörter, die von einander getrennet werden sollen, weil sie nicht unmittelbar zusammen gehören, bemerke man durch einen Beystrich, oder durch ein Komma.


Es ist aber hier oft sehr gleichgültig, wohin man einen solchen Beystrich setzen soll. Man merke nur, daß man derselben weder gar zu wenige, noch gar zu viele mache: denn beydes machet den Verstand einer Rede zuweilen dunkel. Manche machen auch, wie die meisten Ausländer thun, sonst gar keine Unterscheidungszeichen in einem Satze, als Strichlein und Puncte; ja selbst an dieser Puncte Stelle, behelfen sie sich in kurzen Perioden, mit dem bloßen Strichlein. Beydes aber ist falsch, und zeiget eine große Sorglosigkeit im Schreiben an12.[147]

12 §. Außer diesen hat man, in neuern Zeiten, noch verschiedene andere Unterscheidungszeichen einer Rede erfunden; die nicht weniger nützlich sind, dieselbe deutlich und verständlich zu machen. Das erste davon ist ein Fragezeichen (?). Davon heißt


die XXIV Regel:


Nach einer wirklichen Frage, setze man am Ende derselben, allezeit dieses Zeichen (?).


Z.E. Adam, wo bist du? oder: Hast du nicht gegessen von dem Baume, davon ich dir geboth, du solltest nicht davon essen? Nur diejenigen Fragen nimmt man von dieser Regel aus, die man nur von einem andern anführet, oder in die Rede beyläufig mit einflicht; als: man fragte mich, ob ich das wüßte, oder gesehen hätte, u.d.g. Doch pflegen einige das Fragezeichen auch dann nicht zu sparen; zumal, wenn die Frage so kurz fällt, als hier13.

13 §. Da es sehr gut gewesen seyn würde, wenn man für die vornehmsten Leidenschaften, eigene Zeichen ausgedacht hätte14: so hat man es bey einem einzigen bewenden lassen, welches man fast in allen heftigen Gemüthsregungen brauchen muß. Daher sey


[148] die XXV Regel:


Der Ausruf, die Verwunderung und Verspot tung, ja eine jede heftige Anrede an einen andern, muß mit diesem besonderen Zeichen (!) unterschieden werden.


Man nennet selbiges daher ein Ausrufszeichen, (SIGNUM EXCLAMANDI) z.E. Siehe! Adam ist worden wie unser einer! oder: Höret, ihr Himmel! und du, Erde, nimm zu Ohren! denn der Herr redet. Oder: O ihr Berge! fallet über uns! o ihr Hügel! bedecket uns! Man muß nur manchen Ausruf nicht mit der Frage vermengen; welches wegen der Ähnlichkeit leicht angienge. Z.E. Wie gar unbergreiflich sind seine Gerichte! wie unerforschlich seine Wege! Wer hat des Herrn Sinn erkannt? und wer ist sein Rathgeber gewesen?

14 §. Aus der Anmerkung zur obigen XXI Regel fließt noch


die XXVI Regel:


Wenn in eine zusammenhangende Rede etwas eingeschoben wird, das, dem Sinne ohne Schaden, auch wegbleiben könnte: so schließt man das Eingeschobene, vorn und hinten mit einem Paar Klammern () ein.[149]


Andere machen diese Klammern auch so [], welches aber einerley ist. Doch versteht sich dieses nur von einem etwas langen Einschiebsel, welches die Rede sehr unterbricht. Bey kurzen Einschaltungen, thun ein Paar Beystriche eben die Dienste. Es ist aber überhaupt kein Zierrath, wenn eine Schrift mit vielen Einschiebseln unterbrochen wird15.

15 §. Bisweilen wird am Ende eines Wortes, auch wohl gar in der Mitte, ein Selbstlaut ausgelassen, dessen Abwesenheit man anzeigen will. Dazu hat man nun einen krummen Oberstrich bestimmet, der die leere Stelle desselben ausfüllet. Man merke also davon


die XXVII Regel:


Wo ein merklicher Selbstlaut verbissen worden, der sonst zum Worte gehöret hätte, da bemerke man solches durch folgenden Oberstrich (').


Z.E. Wenn die Poeten, des Syllbenmaaßes wegen, ein e oder i, (denn mit den übrigen steht es nicht frey,) auslassen, z.E. Hab' und Gute; weil ein Selbstlaut folget, der einen Zusammenlauf verursachen würde. Doch ist es auch nicht in allen Fällen nöthig. Z.E. liebete, sagete, u.d.gl. wird oft liebte, sagte, u.s.f. geschrieben; ohne den Oberstrich lieb'te, sag'te zu brauchen. Wo es also nicht sehr nöthig ist, da darf man ihn nicht setzen.[150]

16 §. Man könnte noch von einem Zeichen im Schreiben reden, wodurch fremde Worte, von dem eigenen Texte des Schriftstellers, unterschieden werden. Es besteht dasselbe aus kleinen Häkchen, die im Anfange jeder Zeile gemachet werden, und am Ende der Stelle wieder schließen; die von den Buchdruckern Gänseaugen genennet werden, und so aussehen (""). Allein, da sie im Schreiben nicht so sehr, als im Drucke vorkommen; indem man sich dort lieber mit dem Unterstreichen der Zeilen behilft: so brauchet es davon auch keiner besonderen Regel.

17 §. Einige alte Lehrer der Rechtschreibung haben auch noch andere Zeichen erfinden und einführen wollen, die man über die Buchstaben setzen sollte; um dadurch anzuzeigen, ob sie lang, oder kurz ausgesprochen werden sollen. So will Grüwel, daß man Schlâf, Schâf, dîr, wêr, mîr, hîr, grôß, gût, thûn, u.d.m.16 schreiben solle. Allein ohne Noth. Denn da die Lateiner, ohne diese und andere Accente, dennoch ihre Syllben in der gehörigen Länge und Kürze haben aussprechen können; und sich sonderlich der Ton lebendiger Sprachen, am besten von einem Sprachmeister, oder aus dem Umgange lernet: so kann man diese Mühe völlig ersparen.

18 §. Ganz etwas anders wäre es, wenn man, wie ich oben gedacht habe, zum Ausdrucke gewisser Leidenschaften, noch gewisse Zeichen erfinden könnte, um den Ton der Leser[151] zu verändern, zu erheben, oder zu mäßigen. Z.E. den Zweifel auszudrücken, brauchen wir nur das Fragezeichen; die Freude und Traurigkeit aber anzudeuten, haben wir nur das Zeichen des Ausrufes: ob sie gleich im Laute einer recht beweglichen Stimme, oder guten Aussprache, sehr unterschieden sind. Die Verwunderung könnte ebenfalls, sowohl als das Mitleiden, durch gewisse Zeichen bemerket werden: doch so lange es uns daran fehlet, müssen wir uns mit den obigen behelfen.

Fußnoten

1 Wenn man es nur in einer griechischen Stelle Herodots aus des V B. 58 C. versuchen will: so wird man die Schwierigkeit bald gewahr werden:


ΟΙΔΕΦΟΙΝΙΚΕΣΟΥΤΟΙΚΑΙΣΥΝΚΑΔΜΩΑΠΙ

ΚΟΜΕΝΟΙ ... ΔΙΔΑΣΚΑΛΙΑΣΕΙΣΤΟΙΣΕΛΛΗΝΑ

ΣΚΑΙΓΡΑΜΜΑΤΑΟΥΚΕΟΝΤΑΠΡΙΝΕΛΛΗΣΙ:


Oder man nehme die Stelle eines lateinischen alten Dichters Lucrezens vor sich:


AVTAPIERIDVMPERAGROLOCANVLLIVSANTE

TRITASOLOIVVATINTEGROSACCEDEREFONTES

ATQVEHAVRIREIVVATQVENOVOSDECERPEREFLORES

INSIGNEMQVEMEOCAPITIPETEREINDECORONAM

VNDEPRIVSNVLLIVELARINTTEMPORAMVSAE


Wenn Franc. Junius den CODICEM ARGENTEUM genau nach dem Originale abdrucken lassen; so hat Ulfilas seine Wörter schon durch einen kleinen Abstand von einander getrennet; und folglich ist die älteste deutsche Schrift, die wir übrig haben, dieses Fehlers nicht theilhaftig gewesen. Auch Bonav. Vulcanius hat sie schon getrennet.


2 Hier ist die Frage, ob nicht schon die Griechen die Kunst abzutheilen gewußt? Joh. Clericus führet in seiner ARTE CRIT. P.III, SECT. 1, c. 10, eine Stelle aus Aristotels Rhet. III B. 5 Cap. an; wo es scheint, dieser Weltweise habe die Unterscheidungszeichen schon gekannt: denn er saget, es sey schwer, des Heraklitus Bücher zu punctiren; weil es ungewiß sey, ob ein Wort zum vorigen, oder folgenden gehöre. Allein, Trotzius glaubet solches nicht, und erkläret es nur von einer verworrenen Schreibart des Heraklitus. Denn die alten Auf- und Handschriften griechischer Bücher widersprechen jenem Sinne gänzlich: als worinn man keine solche Unterscheidungszeichen wahrnimmt. S. den Hermann Hugo DE PRIMA SCRIBENDI ORIGINE, ED TROTZ. C. 27, P. 245, 246.


3 Wer die ältesten Urkunden beym Mabillon, in Bessels gottwichischer Chronik, oder in Walthers diplomatischem Lexicon, in Kupfer gestochen, gesehen hat, der wird von der ansehnlichen Figur der Anfangsbuchstaben der alten Mönche einen Begriff haben. Ja, da sie auch die erste Zeile ihrer Schriften, noch mit einer besondern Schrift von den übrigen unterscheiden wollten: so entstund noch eine mittlere Art von Charaktern, die bisweilen sehr unleserlich wurden. Nicht leicht ist aber ein altes Buch mit größerer Kunst und Pracht geschrieben, als der zu Regenspurg im Stifte zu St. Emram befindliche CODEX EVANGELIORUM; der aus dem IX Jahrhunderte ist; und überaus viele Arten von Schriften zeiget, die zu der Zeit im Schwange gegangen. Eine Probe davon giebt das CHRON. GOTTWICENSE, aber bey weitem nicht von allen Arten, die ich dort 1749 im Sept. gesehen habe.


4 Es haben sich neuerlich einige gefunden, die in deutschen Versen diese Regel nicht beobachten wollten. Sie gründeten sich eines theils auf die Nachahmung gewisser berühmter Dichter; z.E. des sel. Hofrath Pietsch, dessen einzelne Gedichte zu Königsberg so gedrucket zu erscheinen pflagen; und also auch in der neuen Ausgabe so gedrucket worden. Allein, da ich den sel. Mann vertraut zu kennen Gelegenheit gehabt, und viele von seinen Handschriften, die er in die Druckerey zu schicken pflag, gesehen habe: so weis ich gewiß, daß er solches bloß aus einer Nachläßigkeit, die ihm eigen war, nicht aber mit Vorsatze gethan. Er nahm sich auch niemals die Mühe, einen Probedruck seiner Gedichte selbst zu verbessern; sondern überließ solches dem ordentlichen Druckverbesserer: der sich denn ein Gewissen machte, von des Hofraths Schreibart abzugehen; und noch wohl gar die von ihm mit großen Buchstaben angefangenen Zeilen den übrigen meisten ähnlich machte. Wer sich nun auf solch einen Vorgänger berufen will, der treibt einen Aberglauben mit ihm. Wenigstens weis ich, daß Hofrath Pietsch die erste Ausgabe seiner Gedichte, die ich 1725 hier ans Licht gab, in diesem Stücke nicht gemisblliget: ungeachtet ich diese seine Nachläßigkeit geändert hatte.


5 Es ist wahr, daß man in vielen Handschriften, auch wohl eigene Namen nur mit kleinen Buchstaben findet: allein, je fleißiger und schöner sie geschrieben sind, desto mehr große Buchstaben findet man auch, die nach Gelegenheit auch mit rother, blauer Farbe, oder wohl gar ganz mit Golde geschrieben, oder doch gezieret sind. Diesen Mustern folgeten nun die ersten Buchdrucker, nachdem sie schon einen geringern, oder großern Überfluß großer Buchstaben hatten. Denn ganz im Anfange ließ man ihre Plätze noch ledig, um sie mit der Feder einzutragen. In einem geschriebenen Buche von 1472 stehen schon alle eigene Namen, als Alexander, Eusebius, Vngerland, Sachsen; ja auch Puech, Maister, imgl. die Titel, Fürsichtigen, Namhaften, Weisen, Vincentio Schifer etc. mit großen Buchstaben. In Wolframs von Eschenbach Parcifall, der 1477 gedrucket worden, finden sich die großen Buchstaben nur im Anfange aller poetischen Zeilen: wenn sich aber ein neuer Absatz anhebt, ist nächst dem ersten eingeschriebenen, auch der zweyte groß. In der Historie von den syben weysen meistern von 1478 sind schon, außer den Anfangsbuchstaben jedes Satzes, auch etliche Namen damit gezieret, als Octavianen, Dyocletianus, Antoni Sorg, Histori, Augspurg, Johannis, u.d.m. In Bruders Otto von Passau 24 Alten, von 1480, sieht man auch Cyprianus, Augspurg, Antoni Sorg, Gregorii, Amen. In einer alten Cronica, von 1487, sieht man auch die Namen bald groß, bald klein; z.E. Hansen schönsperger, Augspurg, Christi Geburt, Katherine, bisweilen auch Babst, aber kurfürsten, könig, keyser, gott, allemal klein. In Seb. Brands Narrenschiff, von 1494, sind nur die ersten Buchstaben aller Zeilen groß, bisweilen aber auch die Namen, Cardinal, Nabuchodonosor, Babylon, Römer, Sodoma, Empedoclis, u.d.m. Im Theuerdank endlich von 1517, sind schon Held, Euch, Ir, Ewer, Tewerlich, Eer, Doctor, Tier, Gemsen, Jeger, Esel, Edeln, auch wohl Ich und Sy, u.s.w. groß gedruckt. Und so ist man immer weiter gegangen, bis man obige Regel festgesetzet hat.


6 Der Vorwand, dessen sie sich dabey bedienen, ist dieser, daß unstudierte Leute nicht wissen können, was ein Hauptwort oder selbständiges Nennwort sey, oder nicht. Allein, die Schwachheit der Unwissenden zu schonen, würden ja die gelehrten Schreiber, noch viel andere Dinge weglassen und vermengen müssen: wenn diese Regel gelten sollte. Die Ungelehrten mögen solche Sachen aus der Nachahmung und aus Büchern lernen; wenn sie es ja von ihren ersten Schul- und Schreibmeistern nicht gefasset haben. Es ist nur Schade, daß gewisse Bibeln und Gesangbücher diese böse Gewohnheit durch ihr Exempel bestärket haben.


7 S. die prächtige Ausgabe des DON QUIXOTE, die 1746 in groß Quart mit Picarts Figuren in Holland herausgekommen.


8 Die Angelsachsen machten den Punct da, wo wir einen punctirten Strich, oder einen Doppelpunct machen, am Ende eines Satzes aber drey Puncte, auf diese Art. s. das goth. und angels. Evangelium des Franc. Junius. Allein, selbst die Engländer, deren heutige Sprache doch größtentheils daraus herstammet, haben diese Art fahren lassen, und die andere angenommen, die in ganz Europa gilt: obwohl es natürlicher zu seyn scheint, daß ein Punct eine kleine, zween Puncte eine größere, und drey Puncte die größte Unterscheidungskraft haben sollten. Indessen sind solche Dinge willkührlich: und bey uns ist es itzo gerade umgekehrt, daß;:. die ansehnlichsten Zeichen weniger, die unansehnlichsten aber immer mehr Unterschied bedeuten.


9 Es ist noch ein Fall möglich, wo nämlich die fremde Rede mehr als einen logischen Satz, ja wohl gar einen langen Absatz ausmachet. Dieser muß alsdann, nach Beschaffenheit seines Inhaltes, abgetheilet werden; und nach Gelegenheit wohl mehr, als einen Punct am Ende jedes Satzes bekommen; u.d.m. Hernach pflegen auch gewisse Lehrbücher zu gebiethen, daß man etwas Eingeschaltetes, ob es gleich von dem Schreiber selbst herrühret, von vorn und hinten mit zweenen Puncten bezeichnen solle; dafern nur selbiges, dem Sinne ohne Schaden, ausgelassen werden kann. Exempel davon kann man in des sel. D. Marpergers Schriften sehen, die von Doppelpuncten wimmeln. Allein dadurch verwandelt man das Kolon, in ein Zeichen der Einschiebsel () oder []; und machet also dieses unnütz: wiewohl es auch unnöthig ist, alle kurze Abtheilungen von drey, vier oder fünf Worten, anders, als mit bloßen Strichen, abzusondern. Noch lächerlicher war die Grille des berufenen Theod. Ludwig Lau, der in seinem übersetzten Saavedra gleich auf dem Titel, so schrieb: Den vollkommenen Regenten, welchen, der sinnreiche Spanische Statist, Diego Saavedra Faxardo: in hundert und zwo Sinnbildern: vernünftig und gründlich vorgestellet; hat in folgenden poetischen Lehrsätzen: die des Saavedrischen Werkes Inbegriff, und ein abgekürtztes Staats-Buch: in sich fassen: abschildern wollen: Theodor Ludwig Lau, etc. 1724. 4. Grillen!


10 Dieses war der sel. Prof. Johann Gottlieb Krause, zuletzt in Wittenberg, vorher aber hier in Leipzig, dem wir fast die ganze erste Ausgabe von Kanitzens Gedichten, die unter Königs Namen heraus kam, zu danken haben. So gut nun des wackern Mannes Einsicht auch ins Deutsche war: so unzureichend ist doch der Grund, mitten in einem Satze, einen großen Buchstab zu machen; weil ein neuer logischer Satz kömmt. Man bekömmt nämlich der großen Buchstaben zu viel: zumal wenn der Verfasser sonst kurze Perioden liebet, die doch zusammen gesetzet seyn können.


11 Viele Kanzleyschreiber, auch wohl Juristen und Advocaten, gehen mit dem Puncte und Kolon so sparsam um, daß sie in ziemlich langen Sätzen, ja ganzen Schriften von vielen Blättern, kein einziges zu brauchen das Herz haben; und kaum am Ende der ganzen Aufsätze ein Semikolon wagen. Dieses ist nun eine gar zu große Sparsamkeit. Indessen hat zuweilen ihre so langgedehnte Schreibart Schuld, daß sie wirklich mit keinem guten Gewissen einen Punct machen können, wo der Sinn niemals geschlossen wird. Noch andere brauchen das Kolon und Semikolon niemals; sondern behelfen sich mit lauter Beystrichen. Beyde fehlen, und begeben sich ohne Noth erlaubter Vortheile.


12 Ich kann es unparteyisch sagen, daß in den Schriften der Franzosen und Engländer eine große Unwissenheit, oder Nachläßigkeit in dem Gebrauche der Unterscheidungszeichen herrschet: auch diejenigen nicht ausgenommen, die man für gute Stilisten hält. Damit man dieses nicht für verdächtig halte: so lese man die fontenellischen Schriften, und prüfe sie darnach. Nicht leicht aber habe ich ein französisches Buch besser abgetheilet gefunden, als den SECRETAIRE DES COURTISANS, der in Holland in 12 herausgekommen. Es ist ein sehr gutes Briefbuch.


13 Da man den Ton der Sprache, gleich im Anfange einer Frage, billig ändern muß; das Fragezeichen aber erst am Ende zu stehen pflegt: so muß man gestehen, daß es im Lesen nicht allen Nutzen leistet, den es leisten könnte, wenn es gleich im Anfange der Frage stünde. Man sieht dieses, wenn junge und unerfahrne Leute etwas lesen sollen: die bleiben bey ihrem ordentlichen, oft sehr schläfrigen Tone; wenn sie gleich schon weit in die Frage hinein gekommen sind. Eben das, ist von dem folgenden Ausrufszeichen zu sagen: zumal wenn die Frage mit keinem Wie oder Wer u.d.gl. der Ausruf aber mit keinem O! anfängt. Allein, was will man machen? In einer philosophischen Sprache würde mans freylich anders einrichten.


14 Man wird hieraus leicht begreifen, was man in der Beredsamkeit für Vortheile daraus ziehen könnte, wenn man junge Redner, zu einer guten Veränderung und Erhebung der Stimme anführen will. Wie elend sprechen itzo nicht die meisten öffentlichen Redner ihre Sachen aus! Gleichwohl hat man, bey dem Mangel ihrer eigenen Lebhaftigkeit, gar kein Mittel, ihnen einen Wink zu geben, wie sie dieses oder jenes recht erheben, oder senken; beschleunigen, oder aufhalten, stark, oder leise aussprechen, fröhlich, oder traurig, sanft, oder trotzig sollen hören lassen. Da könnten uns nun SIGNA GAUDII, DOLORIS, IRÆ, MISERICORDIÆ, INVIDIÆ, TIMORIS, u.d.gl. vortreffliche Dienste thun. Allein, wer würde auch die schläfrigen Naturelle den Gebrauch dieser Zeichen lehren; wenn ihre eigene Empfindung es ihnen nicht sagte? Wo dieser innerliche Lehrmeister fehlet, da sind alle Künste umsonst: wer denselben aber hat, der brauchet diese fast nicht.


15 Liest man nicht gewisset Stilisten Schriften mit einem Ekel, den nichts überwinden kann? Sie wollen alle ihre Gedanken und Einfälle auf einmal ausschütten; verwirren sich aber dergestalt, daß sie ein Einschiebsel ins andere stecken, und endlich selbst nicht mehr wissen, wo sie hingehören? Sollten die allemal obiges Zeichen machen, wohin es gehöret: so würde es an beyden Arten desselben nicht einmal genug seyn. Man würde ihnen zu gut noch ein Paar erfinden müssen: und wie schön würde eine solche Periode nicht aussehen?


16 Butschky aber in seiner Rechtschreibung begnüget sich mit dem scharfen Tonzeichen'; welches er aber auch über das s und andere Buchstaben setzet, wenn sie irgend etwas anders ausgesprochen werden sollen. Allein, da wir oben von der Länge und Kürze der Selbstlauter schon andere Regeln gegeben haben; auch theils die Verdoppelung derselben, so wie das h, sie lang; theils die vielen und verdoppelten Mitlauter sie kurz machen: so können wir solcher Künste gar leicht entbehren. Bleibt ja noch etwas übrig, das Ausländern schwer fällt, so müssen sie es aus dem Umgange lernen. Müssen wir es bey ihren Sprachen doch eben so machen![152]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 138-153.
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