Dritte Szene

[494] Montblanc. Zimmer im Zauberschlosse des Faust.


FAUST tritt auf.

– – Was ich wünsche, muß ich haben, oder

Ich schlags zu Trümmern! Wenn ich schmachte,

(Sei's nach der Liebe oder nach dem Himmel)

So werd ich nicht, wie manche Sehnsuchtsnarren,

Vom Schmachten satt, und freu in süßlicher

Melancholie und Selbstzufriedenheit daran mich –

Nein, nein, da halt ichs lieber mit dem Tiger, der

So lange Hunger fühlt, bis er der Speise

Genug hat, und den Raub zerreißt,

Auf den er lauert. – Muß man denn zerreißen,

Um zu genießen? Glaubs fast, wegen der

Verdauung. Ganze Stücke schmecken schlecht –

Mir sagens Seel und Magen.

– Wie denn? Sie

(O welchen Inbegriff von Schönheit, Anmut

Bezeichnet dieses Sie! Was kann ein Wörtchen

Bedeuten!) Sie den Don Juan im Herzen,

Sie meine Einzge einen andern? – Als

Die dunklen Locken ihres Haupts elektrisch,

Gleich Wetterwolken, meinem Aug zuerst

Vorschwebten, – wars ein Zeichen, daß des Tages Schwüle

Erst nun mir nahte? Als mich, zwischen Höll

Und Himmel irrend, jener Golfstrom, der[494]

Aus ihrem Blick in Feuerfluten strömt,

Aus kaltem Schlamm, von der Verzweiflung Meer

Umflutet, losriß, und geläutert an

Der Wellen Oberfläche spülte – war

Es darum, daß ich statt in freier Wüste

Des Alls mich zu verlieren, hingerissen

Zu eines Mädchens Füßen da zerschmetterte? –

– Sie liebt mich nicht! Schon das ist Tod! Doch sie

Liebt einen andern – das ist Hölle! Floh

Ich darum zu dem Satan, daß das Glück

Ich sähe, doch es nicht erreichte? – Und

Wer ist die Närrin? Vielen Geist verspürt'

Ich nicht an ihr – Wenn Tugend für Verstand

Kann gelten, mag sie klug genug sein, – und

Ihr Körper, – nun sie ist ein treffliches

Gewächs, – die Haut recht fein und weiß, – das Haar

Recht braun – Was sagt das alles? Tausend Weiber

Sind dennoch schöner als wie sie. – Und wer

Bin ich denn? – Ich bin Faust, der himmelstürmende

Gigante, bin es, den die Schrecknisse

Der Unterwelt umkleiden –

Und Sie – Sie –

– Ach,

Sie ist das Mädchen, das ich zärtlich liebe!

– Das Herz! das Herz! Vernunft ist rein und klar,

Doch aus dem Herzen steigt der Sturm,

Der sie verdunkelt – Wer geliebt, gehaßt,

Gehofft hat und gefürchtet, Gott verlassen,

Dem Teufel sich verschrieben, – in dem Herzen

Hats ihm geklopft, da scholl der Hammerschlag,

Der seines Wahnsinns Schwerter schmiedete,

Da quoll der Dampf und sprühten all die Funken,

Die ihn betörten! –

Und mags immer sein,

Daß sie mit Grund ihn vorgezogen – Nicht

Erduld ich ihre Kälte länger – Nicht gewöhn

Ich mich gleich einem Hunde da zu schmeicheln,

Wo man mich mit dem Fuß zurückstößt – Laut

Hohnlachend warf ich Kunst und Wissenschaft

Beiseit, als ich sie sah – Ich tötete

Mein Weib – Und Sie verwirft mich?[495]

DONNA ANNA tritt auf und erblickt den Faust.

Ha,

Da steht! War Don Juan der Wetterstrahl,

So schnell und feurig, als (daß zur Schmach ichs nur gestehe!)

Entzückend – so ist Er die Wetterwolke,

Kein Blitz zwar, aber voll von Blitzen – Scheuen,

Nicht lieben kann man Wetter!

Ich seh, er wird bald

Zermalmend sich entladen – doch was wär

Die Tugend, könnte sie je zittern? Fest


Mit stolzem Haupte tret ich vor ihn hin!


FAUST zur Donna Anna.

Will

Denn nie die Trauer enden? Zeit wärs endlich!

DONNA ANNA.

Laß frei mich, wenn du Ehre hast.

FAUST.

Ich habe

Die Kraft, und Kraft schafft selbst sich Ehre.

DONNA ANNA.

Ehre

Wird nicht geschaffen. Echte Kraft entsteht

Aus ihr nur.

FAUST.

Nach Belieben – Ehre, Kraft –

Sie schaffen, schaffen nicht – Sentenzen kehrt

Man um wie Handschuhe – Sie tragen sich

An beiden Seiten. – Doch du redest nach

Der Denkart deines Vaters.

DONNA ANNA.

Welcher Ruhm,

Gleich ihm zu denken und zu handeln!

FAUST.

Kein Ruhm!

Weshalb gibts Zeit, gibts Jahre, gibt es Stunden?

Die Jüngern sollen weiser werden wie

Die Alten – Kinder klüger als der Vater –

– Doch alles eins. –

Warum liebst du den Don

Juan?

DONNA ANNA.

Du fragst? – Wenn ich ihn liebte – Gibts

Denn bei der Liebe ein Warum? – Es funkelt

Die Sonne, taubeperlte Fluren strahlen

In ihrem Glanze, – aus der Nacht zuckt wild

Und frei der Blitz hernieder, Roß und Reiter

Erschlagend, – und wer fragt warum?

FAUST.

Ich![496]

DONNA ANNA.

Frei

Die Liebe, Sklaverei der Haß.

FAUST.

Und hassest

Du Don Juan?

DONNA ANNA.

Je feurger ich ihn liebe,

So heißer haß ich ihn!

FAUST.

Wie? schlafen Haß

Und Lieb in Einem Busen?

DONNA ANNA schläft der Löwe.

Nicht in der Sonne?

FAUST.

Ja, er tuts und er

Ist aufgewacht in Mir. Bist du ein Fels, wahrlich

Ich bin es auch. Laß sehen, wie wir uns

Begegnen. Du verwirfst mich? Und bist du

Der Engel Erster, ich verwerf dich wieder!

– Der Attila, der Erd – Eroberer, stürmt durch

Die Lande – Sie sind seine einzge Freude –

Sehnsüchtig streckt er seine Hand

Nach ihnen aus – Sie weigern sich – Er wirft

Sie unter seiner Rosse Hufen, pflanzt

Die Feuerflamm als seine Fahne auf

Und läßt von Horizont zu Horizont

Sie sich entfalten, – Er vernichtet doch,

Wenn er auch nicht erobert – Und du wähnst,

Daß ich, der Welt – Erobrer, milder wäre?

Nur eine Silbe brauch ich auszusprechen,

Und tot sinkst du zu meinem Fuß! – Du schweigst?

DONNA ANNA.

Ich denke meines Vaters und Octavios.

FAUST.

Die stör ich in der Seligkeit des Himmels –

Du schweigst?

DONNA ANNA.

Nicht wert bist du der Antwort. Wärst du

Kein Räuber und Entführer, – raten würd

Ich dir: mit Trotze nicht, mit Anmut Mädchen

Zu nahen.

FAUST.

Das sag jedem anderen,

Doch nicht dem Faust. Huld, Anmut sind nur Schalen,

Die Wahrheit ist der Kern. Nicht schmeicheln, beugen

(Selbst vor Gott nicht) kann ich – doch mit Kraft

Und Tod (schon hab ich es getan) vermag

Ich zu beweisen, wer ich bin – Willst du mein sein?[497]

– Ich warne dich! – der Tod, er zuckt schon längst

Auf meinen Lippen, und du weißt, den Lippen

Entfällt gar leicht das Unheil!

DONNA ANNA von Faust weggewandt emporblickend.

Du,

Der Tugend goldne Blume, winde dich

Um meine Scheitel, laß mich fallen als

Dein Opfer!

FAUST.

Was ich sagte, sagt ich, es

Vollführend, weil ich es gesagt! – Bedenk das –

Mir bebt der Mund – Nicht die Minute mehr

Seufz ich um dich, die ich mit einem Wort

Zertrümmern kann. – Nie seufzt ich, ohne

Daß ich mich rächte! Hassest du mich?

DONNA ANNA.

Ja!

FAUST.

Stirb!

DONNA ANNA.

Weh mir – ich vergehe!


Sie stirbt.


FAUST erstarrt.

Meine Macht

Ist schneller fast als meine Zunge –

Tot!

Dahin – was ist die Welt? – Viel ist – viel war

Sie wert – Man kann drin lieben! – Und was ist

Die Liebe ohne Gegenstand? – Nichts, nichts.

Das Mädchen, das ich lieb, ist alles, – an

Der Leiche Donna Annas ahn ichs –

Armselig ist der Mensch! Nichts Großes, sei's

Religion, sei's Liebe, kommt unmittelbar

Zu ihm – Er muß 'ne Wetterleiter haben! –

– Wie glücklich könnt ich sein, wenn ich nicht

Mich an die Hölle damals schon verkauft,

Als ich dies Weib zuerst erblickte!

– Anna,

Erwache! –


Laut rufend.


Ritter!

DER RITTER tritt ein.

Dank für all die Qualen,

Wozu Ihr mich verurteilt – wieder Euch

Zu quälen, lehrten sie.

FAUST.

Erweck die Tote!

DER RITTER.

Ei, ei, die Donna Anna! Abgemacht! –

Ich kann sie nicht erwecken – Das Gestorbne

Ist mein nur, wenn es fällt zur Hölle![498]

FAUST.

Anna!

Wie edel schön! Auch noch in deinem Tode! –

– In diesen Tränen, die ich weine, spür

Ich es: es gab einst einen Gott, der ward

Zerschlagen – Wir sind seine Stücke – Sprache

Und Wehmut – Lieb und Religion und Schmerz

Sind Träume nur von ihm.

DER RITTER.

Du Gottesträumer!

FAUST.

Der bin ich!

DER RITTER.

Schade, daß das Mädchen

Zu früh gestorben – Hättst sie können erst

Verderben!

FAUST.

Die verderben?

DER RITTER.

Freilich! – Stürzt

Der Baum auf Einen Hieb? Und Bäume bieten

Der Axt nur Holz und Rind' und Laub. – Ein Weib

Hat Hände, Wangen, Busen und Verstand –

Anpacken kann man sie an hundert Stellen.

FAUST.

Anna! verzeih! ich handelte, wie ich nicht sollte –

Hör meine Reu, sie sagt weit mehr als Tränen:

Teufel, in einer Stunde bin ich dein!

DER RITTER.

Herr Doktor,

In Einer Stunde?

FAUST.

Ganz gewiß.

DER RITTER.

Herr, das

Ist viel, das ist Selbstüberwindung – das will

Ich dir mit Großmut lohnen –

FAUST.

Heuchler!

DER RITTER.

Laß

Mich deine Füße küssen –


Für sich.


's ist zum Letzten.

FAUST.

Es lebt ein andrer noch, der diese liebte.

Dem Don Juan meld ich, daß sie verschieden. –

– Und dann ist all mein Erdgeschäft zu Ende.

DER RITTER.

Der Don wird sich entsetzen!

FAUST.

Nur entsetzen? – Nichts

Ist das Entsetzen. Jammern wird er so

Wie ich!

DER RITTER für sich.

Wenn er das tut, so jammr ich mit!


Beide ab.
[499]


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 494-500.
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