Das Zauberschwert

[19] In eines wüsten Schlosses Hallen

Lag eingesperrt,

Bewacht von eines Drachen Krallen,

Ein Zauberschwert.


Schon mancher suchte es zu heben,

Vergebens doch,

Der Drache machte alles beben,

Im finstern Loch.


Bis doch ein Paladin aus Franken

Vorm Schlosse hält,

Der oft schon kühn zerbrach die Schranken

Der Geisterwelt.


Der Wagling eilt mit kühnem Mute

Zum finstern Grab

Und steiget rasch mit kühlem Blute

Den Gang hinab.


Er kömmt zur Gruft. Der Drache brauset

Vom Nest hervor,

Des Ritters Damaszener sauset

Dem Vieh ums Ohr.


Sein Rachen glüht im Feur und Dampfe,

Sein Brüllen gällt

Durchs Schloß, bis doch, nach langem Kampfe,

Das Untier fällt.


Das Schwert durchbohret seine Seite.

Nach seinem Fall

Nimmt unser Ritter hin, als Beute,

Den Zauberstahl.


Nun mähet, gleich den fleißgen Schnittern

Im Ährenmeer,

Er unter allen schwachen Rittern

Der Welt umher.
[20]

Doch endlich kam ein tapfrer Fechter,

Des Stimme schallt

Dem ewig nimmer müden Schlächter

Ein donnernd »Halt!«


Sie fechten. Doch im Kampf zerschellet

Der Talisman;

Und, ach! der fremde Ritter fället

Den Wundermann.


Ihr, die, die Rel'gion zu schänden,

Sophismen lehrt,

Merkts euch! Ihr führt mit frechen Händen

Das Zauberschwert.


Zwar werden manchesmal die Schwachen

Von euch besiegt;

Doch muß der Weise euch verlachen,

Den ihr bekriegt.


Den 5ten Februar 1806


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 19-21.
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