Lubomirski

[316] Schweigend durch der Straßen Leere

Zog Fürst Sobieski ein,

Der zerstäubt der Türken Heere,

Treues Wien, dich zu befrei'n!


Schweigend Polens Edle zogen,

Hoch zu Roß um ihren Herrn,

Wie ein farb'ger Regenbogen

Um den hellen Abendstern.


Trüber Sieg voll Bruderleichen!

Perle, deren Taucher sank!

Erntefest nach Hagelstreichen,

Ohne Lied und Tanz und Schwank!


Schweigend reiten die Genossen:

Nur den Winkeln eines Munds

Will schon Lust und Scherz entsprossen,

Frühe Blumen üpp'gen Grunds!


Lubomirski war der Reiter,

Dessen Auge nie geweint,

Immer wolkenlos und heiter,

Wie die Sonn' im Süden scheint.
[317]

Jeden Schmerz konnt' er verscheuchen

Durch ein lustig Zauberwort,

Wie das bleiche Haupt der Leichen

Man mit frischem Kranz umflort.


Jedem Unheil konnt' er wehren,

Froher Sinn es sanft bezwang,

Wie zum Tanz den Grimm des Bären

Wandelt der Masurka Klang.


Er begrüßt die wohlbekannten

Straßen rings, die Hochschul' dort,

Der ihn einst die Eltern sandten

Als der Weisheit sichrem Port.


Und er ward ihr treu'ster Jünger,

Doch, wie's eben kommen mag,

Auch des Tanzsaals bester Springer,

Erster Zecher beim Gelag.


Aber jetzt rings Trümmermassen,

Schutt und Asche, blutbenetzt,

Blickend über Plätz' und Straßen

Spricht der Polenjüngling jetzt:


»Schönes Wien, wie arg zerschossen!

Fast zu kennen bist du nicht,

Wie wenn Pockengift durchsprossen

Eines Bräutchens hold Gesicht.


Leer an Gästen deine Schenken,

Frohsinns Tempel schön'rer Zeit!

Ungestört in leeren Bänken

Lehnt jetzt Göttin Einsamkeit.
[318]

Statt des feurig goldnen Nasses

Mild erwärmend Herz und Leib,

Quillt aus dem Versteck des Fasses

Jetzt der Wirth mit Kind und Weib.


Weinlaubkranz! An leere Fässer

Sei kein Durstiger geneckt!

Zierst mein junges Haupt viel besser,

Das manch lust'gen Gast dir heckt!


Fiedler, Pfeifer, Lautenträger,

Laßt ihr ohne Klang uns ziehn?

Zitherspieler, Hackbrettschläger,

Lustig Volk, wo seid ihr hin?


Manches Stücklein auf den Schanzen

Aufzuspielen frisch es galt!

Drum, käm' heut uns Lust zu tanzen,

Fehlt' uns manch ein Spielmann bald.


Wo ein Musikant begraben,

Strauchelt jeder Fuß im Troß;

Wirft nur drob nicht in den Graben

Sprüchwortskundig mich mein Roß!


Göttlich war's, zu schwärmen nächtlich

Diese Straßen aus und ein,

Sich halb taumelnd, halb bedächtlich

Vollern Lebensquells zu freun!


Wer mag jetzt bei Nacht durchwallen

Dieses Friedhofs Schutt und Stein,

Arm und Bein sich dran zerfallen

Und die Nase rennen ein?
[319]

Hohe Schule, deine Hallen

Sind gesperrt, verrammelt gar,

Thatest nie mir den Gefallen

Sonst, als eben recht mir's war!


Nehmt, ihr grasbewachs'nen Thüren

Oeden Säle, meinen Gruß!

Wo Karthaunen laut dociren,

Wohl die Weisheit schweigen muß.


Musensöhne, statt zu plagen

Euch da drinnen mit Latein,

Habt ihr euch gut deutsch geschlagen

Draußen auf dem Wall im Frei'n!


Dort zum vierten Stockwerk lange,

Doch umsonst mein Auge blickt,

Ob, wie einst, vom Fensterhange

Lieblich nicht mein Röslein nickt?


Steil zu klimmen war's zur Rose,

Blühte etwas hoch, fürwahr!

Ei, es war die schöne, lose

Wohl ein Alpenröslein gar!


Mußt' ihr zart Gesicht erblassen?

Schmückt sie eine andre Au?

War der Sturm, der diese Straßen

Durchgefegt, ihr nicht zu rauh?


Schönes Wien, leg' ab die Trauer,

Nicht zum Weinen taugt dein Blick!

Trag' auf deine Trümmermauer

Das Panier der Lust zurück!
[320]

Sangvoll wiegend im Behagen

Ueber dir im Sonnenschein

Will ich nach so trüben Tagen

Deine erste Lerche sein!


Deines blätterlosen Haines

Erstes Zweiglein, grün und hell,

Deines Schutt- und Felsgesteines

Erster, freud'ger Springequell!«


Also sprachst du, heitrer Pole;

Längst vermodert ist dein Herz,

Längst schon hob aus Schutt und Kohle

Wien das Antlitz sternenwärts.


Sieh, voll Rosen auf und nieder

Jeglich Stockwerk jetzt und Haus!

Denn die Rosen und die Lieder,

Heißt es, gehn in Wien nie aus.


Straßen blinkend voll Paläste,

Keller voll von süßem Wein,

Schenken voll Musik und Gäste!

Darfst um uns besorgt nicht sein.


Doch zur Ferne sieh, nach deinem

Armen, schönen Vaterland,

Und du lernst im Grab das Weinen,

Das du lebend nie gekannt.

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 316-321.
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Gedichte
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