(CLVIII.)
Die Edle Dienstmagd.

[217] Diese Rähtsel ist eine verblümte Beschreibung deß Würffels / welcher fället und stehet mit gleicher Zier: Sein Sohn ist ein Wurmbrand / wann man sich über dem spielen erzörnet / und wurmet / wie man zu reden pfleget. Der Vatter ist ein Elephant / von welches Zähnen die Würffel gemachet werden. Die dreymal sieben Augen / in sechs Angesichtern ist leicht zu verstehen: Die Ohren sind die 8. Spitzen oder Ecke / daß nun der Würffel der Soldaten Richter / und mit den beschnittenen Juden ümgehet / ist jedermann bewust / wie auch das Würffel und Karten der Freyarten oder Spitzbuben Eigenthum seyn / von welchen sie leben / und sich gleichsam nehren. Dieses Wunderthier kan man schwerlich / sonder Dolmetscher / erkennen.

2. Zu Burgas in Hispanien haben bey Mannsgedencken / gelebet zween vornehme von Adel Namens Diego von Carriazo und Juan von Avendano genamet. Der erste hat seinen Sohn seinen Namen gegeben / der andre hatte auch einen Sohn / und ihn Thomas von Avendano genennet. Von diesen beeden folgen die meisten Erzehlungen / und wollen wir sie nur mit dem Vornahmen Diego und Thomas vorstellen. Diego gesellte sich zu böser Gesellschafft / Beutelschneidern / Sailtantzern / Taschenspielern / Spitzbuben und dergleichen Bürschlein / die in allerhand Künste mit Karten und Würffeln (darvon die Rähtsel gehandelt) gelehret / und ihn heimlicher Weise von Burgos mit sich geführet.[217]

3. Diese Pilgrame deß Wein Planeten Bacchi / raisten in ihrer Wahlfart in den Schiffhäfen und grossen Städten herum / und Diego verstunde alle Taschenlererey so meisterlich / daß er Magister in diesen freyen Künsten seyn könte und andre Neulinge unterrichten. Spielen und Beutelschneiden ist ein freyes Handwerck: so bald die Arbeit verrichtet / hat man das bare Geld in den Händen / aber das meisterstück kommt letzlich an Galgen. Das Glück in dem Würffelspiel war ihme einst so günstig / daß er sechshundert Realen gewanne / mit welchem er von seinen Gesellen Abschied nahme / seine Befreunde zu besuchen / mit versprechen / auf künftigen Früling wieder zu kommen.

4. Zu Hause fande er seinen Vatter in gutem Zustande und erzehlte von fernen Orten weit gelegene Lügen / mit Verwunderung aller / die ihn hörten / unter welchen auch Thomas / sein vertrauter Freund und Bruder war. Als der Winter vorüber / und mit allerhand Kurtzweil durchgebracht war / verlangte Diego seinen Worten folge zu leisten / und erzehlte Thoma / in was für einen Fürstlichen Freyartstande er gewesen / und daß er wider dahin zu raisen gewillt. Thomas verspricht sich ihm zu einem Geferten / jedoch mit Vorwand nach Salamanka den Weg zu nehmen / und alldar zu studieren / welches dann beederseits Eltern wol zu frieden / und gaben ihnen einen verständigen Hofmeister / Namens Petro Alfonso zu / der über diese zween Jünglinge Aufsicht haben / und sie zu dem studieren antreiben solte / wurden ihnen auch vier hundert Kronen zu einer Zehrung mitgegeben.

5. Als nun diese nach Valladolid kamen / wolten sie den berühmten Brunnen Argales / etliche Stunde darvon gelegen / besehen / und der Hofmeister wolte nit mit reiten / welches ihnen sehr lieb / nahmen deßwegen das Geld alles zu sich / und senden unterwegs ihren Diener wiederum zurucke / mit einen Briefe an ihren Hofmeister / deß Begriffs: Er solte sich wegen ihrer nit länger aufhalten / weil sie entschlossen die Bücher mit den Waffen zu vertauschen / und in den Niderländischen[218] Kriegen sich zu versuchen. Mit dieser Erklärung muste Alfonso wieder nach Hause ziehen / und wuste keinen Raht / wie diese noch wiederum einzuholen. Auf den Weg nach Madrid begegnen sie zween Eseltreibern / deren der eine anfieng die schöne Dienstmagd in dem Wirtshauß / Sevilla genannt / zu Toledo zu loben. Sie hat ein Angesicht sagt er / wie Ostern / ein paar Wangen / wie man die gute Zeit mahlet / ihr Hals / fuhre er fort / ist weiß und glat wie Marmol / aber ihre Wort sind rauh wie Brennessel. Viel Fremde bleiben Jahr und Tage in dem Wirtshauß / diese Magd nun anzuschauen. Sie were zu einer Ertzbischoffin schön genug / und solte sich der Priester Johann in sie verlieben / etc.

6. Thomas fasste dieses zu Ohren / und truge grosses Verlangen diese schöne Constantiam / also nennte man die Magd / zu sehen / eilte deßwegen den Eseltreibern vorzukommen / und als sie ihme zum Gesichte kame / muste bekennen / daß er dergleichen Schönheit noch nie gesehen / suchte derowegen Gelegenheit sich in dem Wirtshauß aufzuhalten / und versprache sich auch endlich für einen Haußknecht zu dienen. Deß Stadthalters zu Toledo Sohn hatte sich auch in diese Constantiam verliebt / und brachte ihr fast alle Nächte eine Music / mit Lobgedichten auf ihren Namen gerichtet / sie aber wolte solche nicht einmahl hören / sondern hielte sich so bescheidenlich und stille / daß man wol sahe / daß sie keine gemeine Dirne. Sie fragte Thomam / wessen Diener er were? Weil er als ein angehender Lotterbub schon schlecht aufzoge: Er antwort / daß er niemands Diener / als der ihrige. Sie versetzte ihm den Rucken wendend: die dienen / wie ich / bedörffen keiner Diener.

7. Diego kauffte inzwischen einen Esel zum Wassertragen / und wurde von einen Zügeuner betrogen / der ihm einen verkauffte / welcher einen angenehten Schwantz hatte: zu Nacht denselben wider stole / unnd den andern Tag / weil er zuvor gesagt / er hette noch einen gleicher Haare / wie der[219] zu Marckt führte. Diese zween verblieben noch eine Zeitlang in dem Wirtshauß / weil Thomas die Liebes-Pestilentz gerühret / und aus solchem Trieb schriebe er in sein Buch / in welchem er Rechnung über den Habern führte / folgende Reimzeilen nach Spanischer Art.


1.


Wer macht ihm die Lieb zu eigen?

der kan schweigen.

Was macht von der Liebe scheiden?

stetig leiden.

Was würckt Lieb in unsren Hertzen?

Freud und Schmertzen /

Also hab' ich noch zu hoffen

daß die Liebe mir steh' offen /

Weil ich schweig und leide Schmertzen.


2.


War durch kan die Lieb' erhalten?

durch veralten.

Was bringt in der Liebe Schaden?

unbegnaden.

Was kan Haß und Liebe machen?

Treu verlachen.

Eh die Flügel-schnellen Zeiten

zu deß Alters Ungnad leiten

solt ihr meiner Treu nicht lachen.


3.


Sonnenschein nach Ungewitter /

süß nach bitter.

Hoffnung bringet nach bereuen

das erfreuen /

und so manches Liebesplagen

bringt behagen.

Wol Constantia wird sehen:

das mein bitters Liebesflehen /

bringt erfreuen und behagen.


8. Der Wirt lieset dieses / und befragt Constantiam / ob Thomas (der sich Peter genennet) in sie verliebt? In deme sie aber antworten wil / komt der Stadthalter / und fraget nach der Magd / in welche sein Sohn verliebt / und als er sie[220] anschauet / liesse er sich beduncken / daß er nicht übel gesehen / und fragte den Wirt / ob sie ihm verwandt / oder wo sie hergekommen? Der Wirt erzehlet daß ungefehr vor 16. Jahren eine vornehme Frau bey ihm eingekehret / welche diese Constantiam in seinem Hause geboren / und bey ihrer Abraise solche samt einer guldnen Ketten / in welcher etliche Glieder mangelten / wie auch einen Zettel mit etlichen Buchstaben hinterlassen / und ihm sechshundert Kronen verehret / mit Bitte / er solle sie als ein Kind auferziehen: habe ihm auch vor 6. Jahren 400. Kronen zugesendet / zu ihrer Unterhalt. Wer aber solche Frau gewesen oder noch seye / könne er nicht wissen.

9. In dem sie miteinander reden / und der Stadthalter die Schrift mit diesen Buchstaben:

D.s.s.d.s.e.h.e.e.c.e.

zu sich nimmet / führte man den Diego gefangen daher / mit beklagen / daß er einen Jungen / welcher ihm nach geschrien: Eselsschwantz / Eselsschwantz /(wie vor §. 2. gesagt worden) zu Boden geschlagen. Der Stadthalter hörte die Klage und Verantwortung an / befiehlet auch / zu Vermeidung andrer Ungelegenheit / diesen in Verhafft zu nehmen. Der Wirt und sonderlich Thomas baten für ihn / und versprachen ihn zu stellen / man solte ihn nur nicht in das Gefängniß / als das Grab der Lebendigen / verstossen / etc.

10. Bevor nun der Stadthalter hierinnen einen Bescheid ertheilt / kommen zween alte Rittersmänner hinein / die der Herr Stadthalter / als gute Freunde also bald erkannte / unn diese waren Diego von Carriazo unn Juan von Avendano. Diego sagte alsobald / daß er kame ein Pfand von den Wirt abzuholen / welches ihm dz Liebste von der Welt / nemlich die Jungfrau Constantia / seine leibeigne Tochter / und brächte er hier das Lösegeld nemlich 1000. Kronen / und beede Kennzeichen / die Ringe auß der Ketten / in gleicher Grösse und gleicher Arbeit / samt dem Zettel / welcher gegen den andern gehalten / die Wort dieses Begriffs in Spanischer Sprache machte:[221]

D.s.s.d.s.e.h.c.e.c.e.

a.i.t.a.r.c.t.z.i.h.n.

Das ist das rechte Zeichen.

11. Hierauf erzehlte Diego / wie er zu Mittagszeit zu einer Gräfin kommen / und sie auf dem Bette schlaffen gefunden / und weil sie eine Wittib und sehr schön / habe er sie wiewol wider ihren Willen / und fast unwissend zu ehlicher Gebühr angehalten / daß sie / wie er auf ihrem Todbette erst verstanden / von ihme schwanger worden / und diese Tochter erzeuget / deßwegen sie ihm solche / samt der Kennzeichen anbefohlen / und gebetten aus ihrem Dienststande / gegen würcklicher Danckbarkeit zu sich zu nehmen / etc.

12. Als nun Thomas solches verstanden / hat er sich sehr erfreuet / und Constantiam ihrem Vatter in unbewuster aber bald erkannter Gestalt zugeführet / welcher sie ihme auf gebührliches Anhalten / nicht abschlagen wollen / und mit beeder Vätter höchstem Vergnügen / daß sie ihre Söhne wieder gefunden / ist die Sache zu einer frölichen Hochzeit außgeschlagen / welches so wol der Stadthalter seinen Sohn wendig zu machen / als der Wirt wegen kostbarlicher Beschenckung und nun ergäntzter Ketten / gerne geschehen lassen. Also ist diese edle Dienstmagd / wider aller verhoffen wol und ehrliches ausgeheuratet worden / unnd hat ihr die Gräfin ihre Frau Mutter grossen Reichthum hinterlassen / daß an Advendano wahr worden das Sprichwort: Beschert bleibt unbewehrt.


Rähtsel.


Ob ich zwar hab einen Kamm

kämm ich mich doch nicht darmit:

vor der früen Sonnen Flamm /

höret man mein Morgenlied.

Ich trag' einen Sporen an /

ich bin doch kein Rittersmann /

ausser wann ich je beschreit'

meine Weiber und Bekanten:

meine Stimme jaget weit

Löwen und die Elephanten.

Mein Bart hat nie keine Haar /

und mein Krieg ist ohn Gefahr.


Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 217-222.
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