Rose und Lilie

[259] Die Rose liebt die Lilie,

Sie steht zu ihren Füßen;

Bald lös't die Glut ihr schönstes Blatt,

Es fällt, um sie zu grüßen.


Die Lilie bemerkt es wohl,

Sie hätt' das Blättlein gerne;

Der Wind verweht's, und Blatt nach Blatt,

Jagt er in alle Ferne.


Die Rose doch läßt nimmer ab,

Läßt immer neue fallen;

Sie grüßt, und grüßt sich fast zu Tod,

Doch keines trifft von allen.[259]


Das letzte fängt die Lilie

Und thut sich dicht zusammen.

Nun glüht das Blatt in ihrem Kelch,

Als wär's ein Herz voll Flammen.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 259-260.
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