Caput XI

[460] Das ist der Teutoburger Wald,

Den Tacitus beschrieben,

Das ist der klassische Morast,

Wo Varus steckengeblieben.


Hier schlug ihn der Cheruskerfürst,

Der Hermann, der edle Recke;

Die deutsche Nationalität,

Die siegte in diesem Drecke.
[460]

Wenn Hermann nicht die Schlacht gewann,

Mit seinen blonden Horden,

So gäb es deutsche Freiheit nicht mehr,

Wir wären römisch geworden!


In unserem Vaterland herrschten jetzt

Nur römische Sprache und Sitten,

Vestalen gäb es in München sogar,

Die Schwaben hießen Quiriten!


Der Hengstenberg wär ein Haruspex

Und grübelte in den Gedärmen

Von Ochsen. Neander wär ein Augur

Und schaute nach Vögelschwärmen.


Birch-Pfeiffer söffe Terpentin,

Wie einst die römischen Damen.

(Man sagt, daß sie dadurch den Urin

Besonders wohlriechend bekamen.)


Der Raumer wäre kein deutscher Lump,

Er wäre ein röm'scher Lumpacius.

Der Freiligrath dichtete ohne Reim,

Wie weiland Flaccus Horatius.


Der grobe Bettler, Vater Jahn,

Der hieße jetzt Grobianus.

Me hercule! Maßmann spräche Latein,

Der Marcus Tullius Maßmanus!


Die Wahrheitsfreunde würden jetzt

Mit Löwen, Hyänen, Schakalen

Sich raufen in der Arena, anstatt

Mit Hunden in kleinen Journalen.
[461]

Wir hätten einen Nero jetzt,

Statt Landesväter drei Dutzend.

Wir schnitten uns die Adern auf,

Den Schergen der Knechtschaft trutzend.


Der Schelling wär ganz ein Seneca,

Und käme in solchem Konflikt um.

Zu unsrem Cornelius sagten wir:

»Cacatum non est pictum.«


Gottlob! Der Hermann gewann die Schlacht,

Die Römer wurden vertrieben,

Varus mit seinen Legionen erlag,

Und wir sind Deutsche geblieben!


Wir blieben deutsch, wir sprechen deutsch,

Wie wir es gesprochen haben;

Der Esel heißt Esel, nicht asinus,

Die Schwaben blieben Schwaben.


Der Raumer blieb ein deutscher Lump

In unserm deutschen Norden.

In Reimen dichtet Freiligrath,

Ist kein Horaz geworden.


Gottlob, der Maßmann spricht kein Latein,

Birch-Pfeiffer schreibt nur Dramen,

Und säuft nicht schnöden Terpentin

Wie Roms galante Damen.


O Hermann, dir verdanken wir das!

Drum wird dir, wie sich gebühret,

Zu Detmold ein Monument gesetzt;

Hab selber subskribieret.
[462]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 460-463.
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