Ode an die Zeit

[37] Sei mir gegrüßt, o Zeit,

Gegrüßt du fließendes Meer,

Sei gegrüßt,

Du Meer der Zeit!


Ungestadet

Rollst du dahin,

Fällst erzener Woge,

Schnellst wie ein Pfeil

Hinein in der Zukunft

Nichtigen Raum.

Es rollten die Welten

Aus Schöpferhand

Ins endlose Blau,

Da kommst du geglitten

Von Fingern der Allmacht

Im Riesensturz,

Wogtest unter das Sonnen-

Unter das Erdenheer.

Sausend vom Gottespuls,

Hobest dich stolz

Unter glänzenden Sphären

Und rolltest sie weiter,

Schwimmende Inseln,

Rollst sie noch jetzt.

Auf erster erobernder Welle

Trägst du die Welten,

Trägst du mich,

Trägst du mein Lied.

Auf deiner Wogen Erster[37]

Schwebt es dahin.

Höre das Lied

Und hebe mich,

Wenn sinken ich sollte

Auf Ruhmeswarte

Flutüberragendem Fels,

Hoch und fest

Ob Wogen und Schwinden.


Es kommt und schwindet

Steten Wechsels,

Jede Sekunde

Ein anderes Leben.


Sonnenkreise

Wandelt die Erde,

Mondumwandelt.

Verschlungen geregelte Bahnen

Rollt mit Kreisen um Kreise

Das funkelnde All,

Bis es vergeht,

Mit dem letzten Stäubchen verweht.

Und neue Welten,

Meer der Zeit,

Schaukelt die Woge:

Staub umwölkt die Marke,

Die eherne Marke,

Die Gott gesetzt.

Und wieder bildet

Und immer wieder

Die Gotteshand

Dem ewigen Auge

Vors unendliche Nichts

Das Spielzeug der Welt,

Kaum daß in kurzer Lücke

Erhabener Öde[38]

Auf den Riesenspiegeln

Du dich weiterergossen.

Und alle die Welten

Trägst du

Auf atlantischem Rücken –

Und wirst nicht müd?


Wann o wann

Schäumst du hinauf,

Verschäumest am Strande der Ruh?


Quelle:
Peter Hille: Gesammelte Werke. Berlin 1916, S. 37-39.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon