[37] Sei mir gegrüßt, o Zeit,
Gegrüßt du fließendes Meer,
Sei gegrüßt,
Du Meer der Zeit!
Ungestadet
Rollst du dahin,
Fällst erzener Woge,
Schnellst wie ein Pfeil
Hinein in der Zukunft
Nichtigen Raum.
Es rollten die Welten
Aus Schöpferhand
Ins endlose Blau,
Da kommst du geglitten
Von Fingern der Allmacht
Im Riesensturz,
Wogtest unter das Sonnen-
Unter das Erdenheer.
Sausend vom Gottespuls,
Hobest dich stolz
Unter glänzenden Sphären
Und rolltest sie weiter,
Schwimmende Inseln,
Rollst sie noch jetzt.
Auf erster erobernder Welle
Trägst du die Welten,
Trägst du mich,
Trägst du mein Lied.
Auf deiner Wogen Erster[37]
Schwebt es dahin.
Höre das Lied
Und hebe mich,
Wenn sinken ich sollte
Auf Ruhmeswarte
Flutüberragendem Fels,
Hoch und fest
Ob Wogen und Schwinden.
Es kommt und schwindet
Steten Wechsels,
Jede Sekunde
Ein anderes Leben.
Sonnenkreise
Wandelt die Erde,
Mondumwandelt.
Verschlungen geregelte Bahnen
Rollt mit Kreisen um Kreise
Das funkelnde All,
Bis es vergeht,
Mit dem letzten Stäubchen verweht.
Und neue Welten,
Meer der Zeit,
Schaukelt die Woge:
Staub umwölkt die Marke,
Die eherne Marke,
Die Gott gesetzt.
Und wieder bildet
Und immer wieder
Die Gotteshand
Dem ewigen Auge
Vors unendliche Nichts
Das Spielzeug der Welt,
Kaum daß in kurzer Lücke
Erhabener Öde[38]
Auf den Riesenspiegeln
Du dich weiterergossen.
Und alle die Welten
Trägst du
Auf atlantischem Rücken –
Und wirst nicht müd?
Wann o wann
Schäumst du hinauf,
Verschäumest am Strande der Ruh?
Buchempfehlung
Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.
112 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro