2.

[231] Ins Meer versank des Abends letzte Röthe,

Du gabst mir scheidend das Geleit,

Im nahen Wald blies eine Hirtenflöte

Ein altes Lied aus alter Zeit.


Nicht Küsse waren's, die wir heimlich tauschten,

Es war die Zeit des Blätterfalls,

Doch als am Kreuzweg die drei Linden rauschten,

Fielst Du mir weinend um den Hals!


Und Deiner Liebe langverhaltnes Leiden,

Aus Deinem Herzen brach's hervor,

Als ahntest Du's, dass Jedes von uns Beiden

Im Andern auch sich selbst verlor!


Und Worte sprachst Du, die ich nie vergessen,

Doch ach, uns gönnte das Geschick

Nur noch ein letztes Aneinanderpressen ...

Es war ein dunkler Augenblick![231]


Doch nicht entweihen will ich jene Stunde,

Schweig still, o still, Erinnerung!

Denn nie schliesst sich ein Herz um seine Wunde,

Ein echtes Leid bleibt ewig jung.


Noch immer, wenn des Abends letzte Röthe

Ins Meer taucht, wird das Herz mir weit,

Und mich umklingt wie eine Hirtenflöte

Ein altes Lied aus alter Zeit.[232]


Quelle:
Arno Holz: Buch der Zeit. Berlin 21892, S. 231-233.
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