21.

[266] Endlich durchfährt nun mit Sang und Klang

Der Frühling wieder die harrende Welt;

Und wo er sich zeigt, da singt es,

Und wo er nur wandert, da klingt es

Jauchzend zum Himmelszelt.


Und wen nur der Frühling zum Feste sich lud,

Der mag nun nimmermehr traurig sein;

Doch mich hat er nicht geladen,

Ich kann ja die Seele nicht baden

In dem goldigen Sonnenschein!


Ich kann ja nicht steigen zu schwindelnden Höhn,

Wo das Adlerweib brütet im luftigen Horst!

Ich kann ja nicht liegen und lauschen,

Wie die Wälder so einsam rauschen

Und die Amseln pfeifen im Forst![266]


Vor dem schwärzlichen, städtischen Bogenthor,

Da schauert der lustige Frühling zurück –

Ach, zwischen den Giebeln und Mauern

Muss ich nun einsam vertrauern

Meinen Jugendtraum und mein Glück!


O du Stadt und du kleinliches Krämervolk,

Wie bin ich doch euer so übersatt!

Tagtäglich dieselbe Reise,

Tagtäglich dasselbe Gleise,

Tagtäglich dasselbe Rad!


Und dazu noch dies Weh, o dies innerste Weh,

Das die Brust mir zerreisst und die Sinne zerwühlt!

O sende nur einen Tropfen

Auf dieses Herz und sein Klopfen,

Der die lechzende Seele mir kühlt!– –


Wo das Meer erbraust dumpfdonnernden Schlags

Und die weisslichen Möven flattern und schrein

Und die dunkelnden Meereswellen

Sich bäumen und fluthend schwellen

Zum Leuchtthurm am Klippenstein:


Da möcht ich wohl stehn, ha du wilde Lust!

Wenn die rasenden Fittige schüttelt der Sturm,

Wenn die schnellenden Wogen rollen

Und die gellenden Donner grollen

Und das Feuer verlischt auf dem Thurm![267]


Und macht dann des Sturmwinds Orgelmusik

Dich, du wildaufschlagendes Herz, nicht gesund:

Dann kommt, o ihr Wogen, ihr kühlen,

Von dem Fels mich hinunter zu spülen

In den gähnenden Meeresschlund![268]


Quelle:
Arno Holz: Buch der Zeit. Berlin 21892, S. 266-269.
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