Capvt 1

[86] ZV der Zeit oder in den Jarn/

Da die Richter regierten/

(Weil damals noch kein König warn/

Die das Regiment führten)

Ward mangel am täglichen Brot/

Bey den Israëlitern.

Wegen derselben Hungersnoth/

Zog zu den Moabitern/

Ein Bethlehemitischer Mann/

Eli Melech mit Namen/

Als ein Frembdling kam er da an/

Sein Söhn auch beyd zusamen

Folgten dem Vater ohn Verdrieß/

Es war ihn nicht zu wider;

Auch sein Weib das Naemi hieß/

Ließ sich bey ihm da nieder.

(Hie haben ein Exempel wir/

Gar schön/ daß gleicher massen

Einem ehrlichen Weib gebühr/

Ihrn Mann nicht zuverlassen.)

Wie sie nun meynten in der Ruh/

Ihr Nahrung zu erwerben/

Da sandte Gott ungluck herzu/

Vnd ließ den Mann hinsterben.

Naemi zu derselben zeit/

Blieb sitzen nach im Leide/

Im Witwenstandt voll trawrigkeit/

Mit ihren Sönen beyde/

Die Mahlon und Chilion genant/

Vnd ihnen liessen trawen

Zur Eh daselbst im frembden Land/

Zwo Moabitsche Frawen.

Arpa die ein mit namen hieß/

Ward dem Chilion gegeben/[87]

Der Mahlon sich mit Ruth einließ/

Ehlich bey ihr zu leben.

Bey zehn jahr/ hört doch was geschach/

Wohnten die beyde Brüder/

Im Land Moab/ da kam hernach/

Von Gott das ungluck wider/

Die jungen Männer sturben hin/

Mahlon und Chilion beyde.

Naemi wust in jhrem Sinn/

Das mal von keiner Frewde/

Denn sehr groß war jhr hertzenleid/

Weil sie so gar verlassen/

Von jhren lieben Sönen beyd/

Vnd vom Mann gleicher massen.

Sie macht sich auff zog wider fort

Auß von den Moabitern/

Weil die Thewrung hatt auffgehort/

Bey den Israëlitern/

Vnd widerumb da war Getreid/

Davon sie kondten leben;

Drumb sie sich da zur selben zeit/

Wolt wider hin begeben.

Ihr zwo Sohns Frawen folgten ihr/

Vnd liebten sie mit Trewen/

Naemi sprach: Zieht nicht mit mir/

Hernach möchts euch gerewen:

Kehrt widerumb in ewer Stadt/

Der Herr woll euch beywohnen:

Die grosse liebe und Wolthat

Euch wiederumb belohnen.

An den Todten vnd auch an mir/

Habt jhr viel guts geübet/

Gott geb jeder ein Mann dafür/

Von dem sie werd geliebet.

Also küsset Naemi sie:

Die beyde junge Frauwen[88]

Gaben mit weinen Antwort/ wie?

Wolt ihr uns das zutrawen?

Vnser hertz ist zu euch gericht/

Wir wollen nicht umbkehren/

Seyt uns darinn zu wider nicht/

Wolt uns dasselb nicht wehren.

Sie antwort: Warumb wolt ihr doch

Gehn mit mir alten Weibe?

Werd ich denn auch itzt haben noch

Mehr Söhn in meinem Leibe/

Die ewer Männer möchten seyn?

O nicht! drumb zieht von hinnen/

Vnd last mich armes Weib allein/

Thut euch doch recht besinnen;

Wenn ich mir gleich die Hoffnung macht/

Mehr Kinder zu erlangen;

Ja wenn ich mich auch diese nacht

Ließ von einm Mann umbfangen;

Ja wenn ich auch schon allbereit

Itzt Söhne hett geboren/

So wern sie doch noch klein zur Zeit/

Ewr warten wer verloren.

Wiewol mir ubel ist zu muth/

Groß noth hat mich umbfangen;

Dieweil des Herren Hand und Ruth

Ist wider mich außgangen.

Weinend sie diese Wort außbracht/

Die zwo hatten mitleiden;

Die Arpa aber sich bedacht/

Küßt Sie im hinwegscheiden.

Ruth aber hatt ein andern Sinn/

Zu bleiben sie begehret/

Naemi sprach: Zeuch du auch hin/

Weil dein Schwägrin umbkehret

Zu ihrem Gott und Volck/ sie sprach/

Niemand wirds ubel deuten/[89]

Daß du derselben folgest nach

Vnd gehst zu deinen Leuten.

Ruth gab darauff zur Antwort jhr:

Wie? solt ich gleicher massen

Auch kehren umb? Gott sey dafür/

Daß ich euch solt verlassen.

Darumb mir nicht zu wider seyt/

Ich bitt last es geschehen/

Sey wo es woll/ nah oder weit/

Will ich mit euch hingehen.

Denn also hab ich mich bedacht/

Laß mich davon nicht treiben/

Wo jhr werd bleiben über Nacht/

Da will ich auch mit bleiben.

Ewer Volck soll auch mein Volck seyn/

Ewr Gott mein Gott imgleichen.

Trewlich und gut ichs mit euch meyn/

Will nimmer von euch weichen.

An dem orth da jhr sterben werdt

Vnd ewer ruhe haben/

Da will ich in derselben Erd

Mich lassen auch begraben.

Der Herre thu mir das und diß

Laß ichs dazu nicht kommen/

Der Todt euch und mich scheiden müß/

Mein meynung habt vernommen.

Alß nun Naemi mercket/ was

Sich Ruth hat fürgesetzet;

Ihrs leides sie zum theil vergaß/

Der Antwort sich ergetzet/

Ließ ab mehr ein zu reden jhr/

Vnd gingen beid zusamen

So lange/ biß sie nach begier

Zu Bethlehem einkamen.

Die gantze Stadt diß bald erfahrt/

Vbr ihnen sich erreget/[90]

Die Weiber/ da es lautbar ward/

Worden auch sehr beweget/

Vnd sprachen zu ihr/ ist das die

Naemi/ so vor Jahren

Lang bey uns hat gewohnet hie?

Was ist ihr wiederfahren?

Sie sprach: heist nicht Naemi mich/

Weil sich mein lust geendet/

Sondern Mara heist mich/ bitt ich/

Gott hat mein Hertz gewendet/

Sehr bitter mir dasselb gemacht/

Vnd michs auffs höhst betrübet:

Leer hat er mich zu hauß gebracht/

Vnd der Mann/ den ich liebet/

Hat er von mir genommen hinn/

Beider Söhn mich beraubet;

Von hertzen ich drum trawrig bin/

Ja mehr denn man mir glaubet.

Darumb bitt ich daß jhr nicht mehr

Mich woll't Naemi nennen/

Denn wie mich hat betrübt der Herr/

Geb ich euch zu erkennen.

Es war aber zur selben zeit

Zeitig und reiff der Samen/

Daß jedermann im Feld arbeit

Da die beid wider kamen.

Die Gerstenernd ging eben an/

Hört wie Gott all's regieret:

Wer ist doch der außreden kan

Wie er die seinen führet?


Quelle:
Anna Ovena Hoyers: Geistliche und Weltliche Poemata, Amsteldam[!] 1650, S. 86-91.
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