Capvt 2

[91] ES war ein Mann/ vernehmet recht/

Tapffer und reich von Güter/

Eli Melechs freund von geschlecht/

Auch ein Bethlehemiter.[91]

Ein feiner Mann Boas genandt/

Der ließ auch Gersten schneiden;

Naemi war er wol bekandt/

Die mit Ruth saß in leiden/

Einsam/ und beyde nehrten sich

Durch das werck ihrer hände/

Wie arme Witwen kümmerlich/

Pflegen in ihrm Elende.

Es war gering ihr beyder sach/

Vormals besser gewesen/

Darumb Ruth zu Naemi sprach:

Last mich gehn und aufflesen

Ähern auffs feld dem nach/ für dem

Ich gnad und gunst itzt finde/

Vnd da ich seyn werd angenehm/

Im feld bey dem Gesinde.

Geh hin mein Tochter/ antwort sie/

Ich will es dir nicht wehren/

Bring was zu hauß daß wir uns hie

Mögen davon ernehren.

Sie ging hin/ merckt doch was geschicht/

Vnd kam auff Boas Acker/

Jedoch den Mann sie kante nicht/

Sie laß die ähern wacker

Den Schnittern nach. Boas der Mann

Von Bethlehem kam gangen/

Er sprach die Schnitter also an:

Was ihr habt angefangen/

Das geh in Gottes Namen fort/

Der sey mit euch im wercke.

Danck habt/ war wider jhr antwort/

Der Herr sey ewer stärcke.

Boas sah Ruth auch da im Feld/

Vnd sprach zu seinem Knaben

Der ubr die Schnitter war gestellt:

Was will die Dirne haben?[92]

Wes ist sie? Der Knab gab bescheit:

Sie ist/ hab ich vernommen/

Die von Moab vor wenig zeit

Ist mit Naemi kommen.

Ferner der Knab zu Boas sprach:

Sie ist hie heut gewesen

Bey uns im Feld den gantzen Tag.

Die ähern auffzulesen

Den schnittern nach; dieweil sie mich

Drumb bath ihr diß zu günnen/

Solch ihre bitt an mich hab ich

Ihr nicht abschlagen können.

Fleißig ist sie gewesen heut

Es geht ihr wol von handen/

Von morgen biß auff diese zeit

Ist sie bey uns gestanden.

Da ging Boas selbst hin zu ihr/

Sprach mit freundtlichen worten:

Meine Tochter gehorche mir

Vnd bleib an diesen Orten/

Es soll dir nichts zu leid geschehn/

Darumb geh' nicht von hinnen/

Mit meinen Dirnen soltu gehn/

Die dich anleiten können/

Da sie schneiden/ geh' jhnen nach/

Dem Volck hab ich gebotten

Daß keiner dich antast/ er sprach/

Oder sonst soll verspotten.

Vnd so dich durst/ geh hin zum krug/

Vnd trinck mit meinen Knaben/

Es wird für dir auch seyn genug/

Dein hertz damit zu laben.

Da fiel sie auff ihr angesicht/

Demütig sie ihn ehret/

Sprach: Ich hab je verdienet nicht

Das mir itzt widerfähret/[93]

Ich weiß auch nicht in meinem sinn

Womit ich gnad bekommen/

Die ich doch hie ein Frembde bin.

Er sprach ich hab vernommen/

Daß du nach deines Mannes todt/

Hast wollen nicht verlassen

Dein Schwieger Mutter in der noth/

Sondern mit jhr die strassen

Gezogen bist im frembden Landt/

Hast ihr viel guts erzeiget;

Bey einem Volck dir unbekant

Zu bleiben bist geneiget.

Der Herr vergelt dir deine that/

Vnd mach dein lohn vollkommen:

Der zu dem Herren Zuflucht hat

Wird von jhm angenommen.

Israels Gott sey immer zu

Dein Hülff und Trost im leben;

Vnter des flügeln jtzund du

Dich hast zu wohnen geben.

Ruth sich der wort erfrewen thet/

Vnd antwort jhm demütig:

Wie freundlich hat mein Herr geredt/

Vnd ist mir doch so gütig.

Nun ich für ewren augen gunst

Vnd gnade hab gefunden/

Wird von mir nichts begehret sonst/

Mein Leid ist mir verschwunden.

Was solt ich doch begehren mehr

Denn ewer Gunst alleine?

Weil ich geringer bin/ mein Herr/

Als ewer Mägde eine.

Er sprach zu jhr: Wenns essen zeit

Ist/ solt dich auch hernahen/

Vnd bey dem Volck nach der arbeit/

Dein speise mit empfahen;[94]

Ihrer freyheit dich mit gebrauch/

Vnd tuncke deinen bissen

In essig wie die andern auch/

So speiß einnehmen müssen.

Sie nam diß an mit danckbarkeit/

Darüber sich ergetzte/

Vnd da es war zu essen zeit/

Sie sich mit nieder setzte.

Boas legt selbst zu essen für/

Sie aß/ er ließ jhm langen

Gedörte ähern gab er jhr/

Die man sonst nennet Sangen:

Sie aß sich mit den andern satt/

Stund wieder auff zu lesen/

Von Sangen sie noch uber hatt/

Die zur mahlzeit gewesen.

Boas zu seinem knaben sprach:

Ihr solt sie nicht beschämen

Sondern lasset was bleiben nach/

Davon sie mög auffnemen;

Auch von dem hauffen ligen last/

Als ob jhr es nicht achtet;

Sie ist bey uns frembd wie ein Gast/

Ihr noth bey euch betrachtet.

Also lase sie fleissig auff/

Vnd war dasmal zum ersten/

So sie gesamlet hatt zu hauff/

Bey einem Epha gersten;

Da sie es hatt geschlagen auß/

Sie hub es auff zu tragen/

Kam damit in die Statt zu hauß:

Naemi sprach mit fragen/

Da sie diß all's gesehen hatt

Vnd von der Ruth empfangen

Das/ davon sie war g'worden satt/

Auch g'blieben nach von Sangen:[95]

Mein Tochter wo bist g'wesen heut

Vnd wo bistu herkommen?

Es müssen g'wiß seyn gute Leut

Die dich hab'n angenommen.

Sie gab es zuerkennen ihr/

Sprach: da ich hab gelesen

Vnd der diß all's hat geben mir

Ist der Boas gewesen.

Naemi sprach zu ihrer Schnur/

Der Mann ist mein bekanter/

Mein Tochter sey zu frieden nur/

Er ist meins Manns Verwanter/

Vnd Erb/ ein solcher frommer Mann/

Der nicht hat unterlassen

Sein Gütigkeit zu zeigen an

Thut unser sich anmassen.

An den Todten und Vns hat er

Barmhertzigkeit beweiset;

Geseg'n ihn dafür Gott der Herr/

Den er mit gutthat preiset.

Ruth wieder zu Naemi sprach/

Der Mann sagt mir imgleichen/

Ich solt sein'n Dirnen folgen nach/

Vnd nicht von ihnen weichen/

Biß alles Korn zu hauß gebracht/

Solt auch mit jhnen essen/

Solch wort hat er zu mir gesagt/

Die ich nicht kan vergessen.

Naemi sprach ja/ das ist gut/

Daß du mit jhnen gehest;

Niemand dir da einreden thut/

Wie du diß wol verstehest.

Also die Ruth zu ihnen sich

Bald widerumb gesellte/

Vnd laß/ wie vor geredet ich/

Da ähren auff im Felde/[96]

Bey Boas Volck: wolt zu der zeit

Auff ander Feld nicht gehen/

Biß daß an Gerst und Weitzen beid

Die Ernd da war geschehen.

Darnach sie zu Hauß wider kehrt/

Naemi zu ernehren/

Die sie als jhre Mutter ehrt/

Wolt nicht mehr auß begehren.


Quelle:
Anna Ovena Hoyers: Geistliche und Weltliche Poemata, Amsteldam[!] 1650, S. 91-97.
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