Tugend-Liebe

[237] Die Schönheit ist ein Feind der frey und reinen Brust/

Die Liebe/ die sie pflantzt/ ein Feind der Ruh und Lust.

Doch diese Feinde kan die Kranckheit überwinden/

Die Tugend aber nicht/ in der wir Ruhe finden.
[237]

Drum liebt ein edler Geist zwar einen schönen Leib/

Jedoch entflammt ihn mehr ein Engel-gleiches Weib/

Und will in der Natur er die Natur besprechen/

Muß ihm der Tugend-Hand der Schönheit Rosen brechen.


Der Himmel schlichtete den sonderbahren Streit/

Und sprach: der Tugend nur bleibt die Vortrefflichkeit.

Doch zancket nicht darum/ vereinigt euch zusammen:

Der Menschen-Liebe muß durch euch vollkommen flammen.


Er rief: was ich gesagt/ sey itzo Sonnen-klar/

Und suchte gleich darauf ein ihm beliebtes Paar.

Dem gab er sie/ und sprach: den süßen Brand zu heilen/

Solt ihr euch beyde nun in diese viere theilen.


Ich nehme sprach die Braut/ die Tugend in mein Hertz:

Sie ist der Seelen-Schatz/ der Engel Lust und Schertz;

Die Schönheit an den Leib. Wer will die Liebe haben?

Die beyden ersten sind bey mir des Himmels-Gaben.


So kom mein Edler Wolff/ nim beydes Lieben an.

Ich find an deinem Thun/ was mich entzücken kan:

Gelehrsamkeit/ Verstand/ die Anmuht in Geberden:

Wo durch ich schätzbar kan vor vielen Weibern werden.


Die erste Liebe soll nach meiner Tugend gehn;

Du wirst dem Glück dadurch unüberwindlich sehn.

Die Tugend ist ein Schmuck an Frauen hochzuschätzen/

Ein Atlas in dem Creutz/ ein Leitstern im Ergetzen.


Der Schönheit Liebe nimmt dein Hertz in die Gewalt/

Und giebt der Augen Lust beliebten Aufenthalt.

Sie soll die Dienerin von iener Liebe bleiben:

In Tugend die Natur vergnügen und vertreiben.
[238]

Die ungemeine Braut sprach so viel schönes aus.

Denn zog der Bräutigam in ihrer Tugend-Haus/

Und hat der liebe Geist/ den ihre Schönheit rühret/

In ihre keusche Brust durch Priesters-Hand geführet.


Drauf kam er Seegens-Mund und Schloß die kluge That:

Verliebt/ doch keusches Paar/ das nebst der Tugend hat

In Schönheit sich verliebt/ du wirst in kurtzen schauen/

Wie durch sein schön Geschöpff Gott will Geschöpffe bauen.


Quelle:
Christian Friedrich Hunold: Menantes Academische Nebenstunden allerhand neuer Gedichte, Halle/ Leipzig 1713, S. 237-239.
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