Die Stille

[41] Die du schon mein Knabenherz entzücktest,

Welcher schon die Knabenträne floß,

Die du früh dem Lärm der Toren mich entrücktest,

Besser mich zu bilden, nahmst in Mutterschoß,


Dein, du Sanfte! Freundin aller Lieben!

Dein, du Immertreue! sei mein Lied!

Treu bist du in Sturm und Sonnenschein geblieben,

Bleibst mir treu, wenn einst mich alles, alles flieht.


Jene Ruhe – jene Himmelswonne –

O ich wußte nicht, wie mir geschah,

Wann so oft in stiller Pracht die Abendsonne

Durch den dunklen Wald zu mir heruntersah –


Du, o du nur hattest ausgegossen

Jene Ruhe in des Knaben Sinn,

Jene Himmelswonne ist aus dir geflossen,

Hehre Stille! holde Freudengeberin!


Dein war sie, die Träne, die im Haine

Auf den abgepflückten Erdbeerstrauß

Mir entfiel – mit dir ging ich im Mondenscheine

Dann zurück ins liebe elterliche Haus.


Fernher sah ich schon die Kerzen flimmern,

Schon wars Suppenzeit – ich eilte nicht![42]

Spähte stillen Lächelns nach des Kirchhofs Wimmern,

Nach dem dreigefüßten Roß am Hochgericht.


War ich endlich staubigt angekommen,

Teilt ich erst den welken Erdbeerstrauß,

Rühmend, wie mit saurer Müh ich ihn bekommen,

Unter meine dankende Geschwister aus,


Nahm dann eilig, was vom Abendessen

An Kartoffeln mir noch übrig war,

Schlich mich in der Stille, wann ich satt gegessen,

Weg von meinem lustigen Geschwisterpaar.


O! in meines kleinen Stübchens Stille

War mir dann so über alles wohl,

Wie im Tempel, war mirs in der Nächte Hülle,

Wann so einsam von dem Turm die Glocke scholl.


Alles schwieg, und schlief, ich wacht alleine;

Endlich wiegte mich die Stille ein,

Und von meinem dunklen Erdbeerhaine

Träumt ich, und vom Gang im stillen Mondenschein.


Als ich weggerissen von den Meinen

Aus dem lieben elterlichen Haus

Unter Fremde irrte, wo ich nimmer weinen

Durfte, in das bunte Weltgewirr hinaus,


O wie pflegtest du den armen Jungen,

Teure, so mit Mutterzärtlichkeit,

Wann er sich im Weltgewirre müdgerungen,

In der lieben, wehmutsvollen Einsamkeit.
[43]

Als mir nach dem wärmern, vollern Herzen

Feuriger itzt stürzte Jünglingsblut,

O! wie schweigtest du oft ungestüme Schmerzen,

Stärktest du den Schwachen oft mit neuem Mut.


Jetzt belausch ich oft in deiner Hütte

Meinen Schlachtenstürmer Ossian,

Schwebe oft in schimmernder Seraphen Mitte

Mit dem Sänger Gottes, Klopstock, himmelan.


Gott! und wann durch stille Schattenhecken

Mir mein Mädchen in die Arme fliegt

Und die Hasel, ihre Liebenden zu decken,

Sorglich ihre grüne Zweige um uns schmiegt –


Wann im ganzen segensvollen Tale

Alles dann so stille, stille ist,

Und die Freudenträne, hell im Abendstrahle,

Schweigend mir mein Mädchen von der Wange wischt –


Oder wann in friedlichen Gefilden

Mir mein Herzensfreund zur Seite geht,

Und mich ganz dem edlen Jüngling nachzubilden,

Einzig vor der Seele der Gedanke steht –


Und wir bei den kleinen Kümmernissen

Uns so sorglich in die Augen sehn,

Wann so sparsam öfters, und so abgerissen

Uns die Worte von der ernsten Lippe gehn.


Schön, o schön sind sie! die stille Freuden,

Die der Toren wilder Lärm nicht kennt,[44]

Schöner noch die stille gottergebne Leiden,

Wann die fromme Träne von dem Auge rinnt.


Drum, wenn Stürme einst den Mann umgeben,

Nimmer ihn der Jugendsinn belebt,

Schwarze Unglückswolken drohend ihn umschweben,

Ihm die Sorge Furchen in die Stirne gräbt,


O so reiße ihn aus dem Getümmel,

Hülle ihn in deine Schatten ein,

O! in deinen Schatten, Teure! wohnt der Himmel,

Ruhig wirds bei ihnen unter Stürmen sein.


Und wann einst nach tausend trüben Stunden

Sich mein graues Haupt zur Erde neigt

Und das Herz sich mattgekämpft an tausend Wunden

Und des Lebens Last den schwachen Nacken beugt:


O so leite mich mit deinem Stabe –

Harren will ich auf ihn hingebeugt,

Bis in dem willkommnen, ruhevollen Grabe

Aller Sturm, und aller Lärm der Toren schweigt.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 41-45.
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